Die Geliebte des Kosaken
erkennen.
Die Kosaken hatten die Treidelknechte verjagt und sich der Pferde bemächtigt, die am Ufer dahintrotteten und die Boote an langen Tauen auf dem gemächlich dahinströmenden Fluss voranzogen. Einige der Kosaken waren in den Fluss hineingeritten und vom Rücken ihrer Pferde auf die Boote gesprungen, doch es schien, dass die Fuhrleute entschlossen waren, ihre Ware nicht freiwillig preiszugeben. Auf den Booten waren Kämpfe im Gange.
Natalja kniff die Augen zusammen und versuchte, die kämpfenden Männer voneinander zu unterscheiden. Ein Schuss krachte laut, und sie zuckte heftig zusammen. Gleich darauf kippte ein dunkel gekleideter Mann über den Bootsrand und verschwand in den Fluten.
War es Andrej gewesen? Sie spürte, wie sie erzitterte. Doch nein, er trug eine braune Jacke und braune Lederstiefel. Was rege ich mich auf, ärgerte sie sich, während ihr Herz raste. Er ist ein Räuber und Verbrecher. Ein solches Ende wäre nur die gerechte Strafe Gottes für seine Untaten.
Trotzdem starrte sie wie gebannt auf die kämpfenden Männer, bis ihre Lider brannten und das Bild vor ihren Augen verschwamm.
Soll er sich doch herumprügeln, dachte sie trotzig. Was für ein Mensch ist das, der sein Leben für ein paar Kisten voller Waren aufs Spiel setzt?
Sie streckte den Kopf ein wenig vor und musterte die äußere Scheunenwand. Es gab genügend Vorsprünge und lose Bretter, um sich daran hinunterzuhangeln, sie musste vorsichtig sein, aber sie würde es schon schaffen. Das größere Problem war das enge Fensterchen, durch das sie sich hindurchzwängen musste, am besten rückwärts, die Beine zuerst, damit sie sich mit den Händen am Fenstersims festklammern konnte. Sie zog Jacke und Stiefel aus und warf die Sachen aus dem Fenster, dann krabbelte sie rücklings durch die enge Luke.
Der Plan glückte – zwar blieb die Bluse an einem Nagel hängen, und sie handelte sich einen Riss ein, doch ihre Füße fanden außen an der Scheunenwand festen Halt. Erst als sie schon fast den Boden erreicht hatte, löste sich ein Brett, und sie plumpste ins nasse Gras.
Keuchend blieb sie einen Augenblick hocken, spürte tiefe Befriedigung über die gelungene Aktion und zog dann Stiefel und Jacke wieder an. Wie gut, dass sie als kleines Mädchen so gern in den Apfelbäumen des elterlichen Gutshofs herumgeklettert war. Andrej hatte sich gründlich verrechnet, wenn er geglaubt hatte, sie hier einsperren zu können.
Sie lief um die Scheune herum, stellte fest, dass ihr Brauner noch friedlich am Zaun graste, und schob den hölzernen Torriegel auf, um ihren Sattel zu holen. Der Braune war wenig erfreut, schon wieder laufen zu müssen, zumal er noch völlig durchnässt war. Widerwillig fügte er sich seiner Herrin, kaute ärgerlich auf dem Zaumzeug herum und schnaubte, als sie den Sattelgurt festzog.
„Nur noch ein kleines Stück“, munterte sie ihn auf und klopfte seinen glatten Hals.
Es war keine gute Tageszeit für einen Aufbruch, das war ihr klar, doch sie hatte keine Wahl. Einige Werst würde sie noch schaffen, dann musste sie sich nach einer Unterkunft für die Nacht umschauen. Es war keine angenehme Vorstellung, ganz allein irgendwo in einer verlassenen Hütte zu übernachten, die von hungrigen Wölfen und Bären umstrichen wurde.
Sie stieg in den Sattel und versuchte, sich zu orientieren. Dort unten war der Fluss, dem sie folgen musste. Aber in welcher Richtung eigentlich? Ärgerlich dachte sie daran, dass in Andrejs Satteltaschen eine Menge Landkarten steckten, die er jeden Morgen eifrig zu Rate zog. Außerdem bewahrte er dort das Geld auf – ihr Geld, das sie ihm so leichtsinnig anvertraut hatte.
Natalja sammelte ihre Gedanken. Ihre Reise führte nach Osten, also würde sie den Fluss in östlicher Richtung entlangreiten. Die Sonne stand jetzt im Westen, denn es war später Nachmittag. Na bitte – es war eigentlich ganz einfach, man musste nur ein wenig nachdenken.
Eilig trieb sie den Braunen an, der unwillig voranschritt, denn er hatte den Heuduft in die Nase bekommen und wäre am liebsten in die Scheune hineingelaufen. Nur mit Mühe gelang es ihr, das Tier in einen kleinen Trab zu versetzen, der jedoch rasch wieder in einen gemächlichen Schritt überging. Sie seufzte. Hoffentlich war Andrej noch beschäftigt, sie hatte wenig Lust, ihm jetzt zu begegnen und mit ihm streiten zu müssen. Aber vermutlich hatten die Kosaken inzwischen die ersehnte Beute gemacht, und man war damit beschäftigt, den Raub unter sich
Weitere Kostenlose Bücher