Die Geliebte des Kosaken
aufzuteilen. Was für eine beschämende Vorstellung: Andrej, der um seinen Anteil feilschte, Kisten mit Silber und Stoffballen hinter sich stapelte und anschließend mit seinen Kumpanen den gelungenen Raubzug begoss. Ob die Waren, die sie in seinem Petersburger Haus gesehen hatte, ebenfalls Diebesgut gewesen waren? Es war zu vermuten. Warum sonst hätte Fürst Berjow sie so eindringlich vor Andrej warnen sollen?
Sie stieß dem Braunen wieder die Fersen in den Bauch, fester und energischer noch als zuvor, und ärgerte sich darüber, dass sie anstatt Abscheu nur tiefe Bestürzung empfand.
Bald sah sie den breiten Strom vor sich, über den die Sonne bereits rötliche Lichtstreifen goss. Die Stelle, an der man die drei Boote überfallen hatte, war ein gutes Stück entfernt, doch sie konnte sehen, dass man die Schiffe ans Ufer gezogen hatte, Kisten und Pakete wurden abgeladen. Wie gut, dass sie dort nicht vorüberreiten musste, ihre Reise führte nach Osten, also in die entgegengesetzte Richtung. Ade, Kosakengesindel, auf Nimmerwiedersehen, Andrej Dorogin; sie konnte nur hoffen, diesem Menschen niemals wieder in ihrem Leben zu begegnen.
Es war ein seltsames Gefühl, so ganz allein in die weite Landschaft hineinzureiten. Das Tal war flach, Gräser und Blüten bedeckten den sumpfigen Boden, kleine Wasserläufe durchzogen die Ebene, die alle in den Fluss mündeten. Insekten summten, braune Vögel standen im seichten Wasser und senkten die Schnäbel hinein, manchmal flatterte ein Schwarm empor, kreischte und lärmte, um sich dann an anderer Stelle niederzulassen. Natalja versuchte, an Oleg zu denken, sie rief sich ihre erste Begegnung wieder ins Gedächtnis, seine leise, ein wenig spöttische Stimme, die sie dicht an ihrem Ohr vernommen hatte, als sie am Flügel saß und er sich über sie beugte. Seine schlanke, biegsame Gestalt, die in der roten Husarenuniform so eindrucksvoll zur Geltung kam, sein helles, ein wenig gelocktes Haar, seine Gesichtszüge …
Ein Reiher flatterte dicht neben ihr auf und stieß dabei einen schrillen Warnschrei aus. Natalja zuckte zusammen, und plötzlich war es ihr nicht mehr möglich, sich an Olegs Gesicht zu erinnern. Sosehr sie sich mühte, seine Züge verschwammen in ihrer Erinnerung, nur das blonde Haar und seine schön geschwungenen Lippen standen ihr deutlich vor Augen. Sie schämte sich. Wie war es nur möglich, dass man das Bild eines geliebten Menschen so rasch aus seiner Erinnerung verlor?
Wieder erhob sich ein Vogelschwarm, flog dicht über sie hinweg und ließ sich rechts von ihr im Gras nieder. Der Braune war unruhig geworden, er riss den Kopf hoch und sah hinter sich, so dass auch Natalja sich jetzt umwandte.
Eine Gruppe Kosaken ritt in einiger Entfernung hinter ihr, anscheinend ohne besondere Eile, doch war ihr Reittempo wesentlich rascher als der müde Schritt des Braunen. Sie würden sie bald eingeholt haben.
Natalja stieß dem Braunen die Fersen in die Seiten und lenkte das Tier vom Fluss weg in die Wiesen hinein. Es war keine gute Idee, denn bald versanken die Hufe ihres Reittieres im sumpfigen Boden, und sie sah sich genötigt, umzukehren. Die Kosaken näherten sich jetzt mit größerer Geschwindigkeit, ihre kleinen, drahtigen Pferdchen kannten keine Müdigkeit und wurden nahezu mit jedem Boden fertig. Schon war das dumpfe Geräusch ihrer Hufschläge vernehmbar, sie hörte die triumphierenden Rufe der Männer, ihr tiefes, grölendes Lachen, und sie spürte, wie die Härchen in ihrem Nacken sich vor Entsetzen sträubten.
Es war nur allzu klar, dass Andrej seine Bande auf sie gehetzt hatte. Wo war er nur? Sooft sie sich umwandte und die Gruppe rasch mit den Blicken überflog – sie konnte ihn nicht entdecken. Aber das Ganze war sein Werk – ohne Zweifel.
Sie machte einen letzten, nutzlosen Versuch, ihr Reittier anzutreiben, und der Braune fiel tatsächlich für wenige Minuten in einen holprigen Galopp – doch all das spornte den Ehrgeiz der Verfolger nur an. Schon wurde sie zu beiden Seiten von Reitern in flatternden, dunklen Hemden überholt, sie sah lachende grobe Männergesichter, eine Hand packte den Zügel ihres Braunen und riss ihn ihr weg.
„Was soll das?“, kreischte sie wütend. „Lasst mich in Ruhe! Ich habe mit euch nichts zu schaffen!“
Sie war nun von allen Seiten umringt, harte Knie und Schenkel drängten sich gegen ihre Beine, jemand zog an ihrer Jacke, ein anderer fasste in ihr offenes Haar und beutelte sie wie ein gefangenes Karnickel. Sie
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