Die Geliebte des Malers
Die schummrige Atmosphäre in der Kneipe bot ihr einen erneuten Einblick in das Leben der anderen, den sie nach ihrer selbst auferlegten Einsamkeit genoss.
Sie saß im hinteren Eckchen, schlürfte starken café au lait und lauschte versunken Jeffs sanfter Musik. Als ihr bewusst wurde, woran sie gerade dachte, war es schon zu spät: Colins Bild stand ihr klar und deutlich vor Augen. Erneut hatte er ihre Barrieren eingerissen. Es war nutzlos zu versuchen, ihn aus diesem inneren Kreis zu verbannen. Für einen Moment schloss Cassidy die Augen und akzeptierte das Unvermeidliche. Es würde sich schließlich nicht auf ewig vermeiden lassen, ab und zu an ihn zu denken.
Colin Sullivan war ein brillanter Künstler. Er war ein selbstsicherer Mann, der sich das Leben so zurechtbog, bis es ihm passte. Er besaß Geist, Charme und Einfühlungsvermögen. Er war egoistisch, arrogant und hatte sich völlig seiner Kunst verschrieben. Er war gedankenlos und herrisch und zudem unhöflich und grob.
Und ich liebe ihn genau so, wie er ist.
Cassidy erschauerte und starrte in ihre Tasse. Ich bin ein Idiot, schalt sie sich. Eine romantische Närrin. Ich kenne doch all die Fallstricke und hänge mich dennoch darin auf, anstatt ihnen auszuweichen und sie zu vermeiden. Ich weiß, er hat eine feste Beziehung. Ich weiß, er sieht in mir nur das Thema für sein Gemälde. Mir ist auch klar, er würde sofort mit mir schlafen, ohne dass sein Herz davon berührt würde. Und ich weiß, dass es Dutzende von Frauen in seinem Leben gegeben hat, von denen keine ihn hat halten können.
Nicht einmal Gail, überlegte sie weiter. Auch wenn die andere es behauptete. Gail machte sich etwas vor, sie existierte praktisch nur am Rande seines Lebens. Colin würde keiner Frau ein festes Versprechen geben, niemals.
Und obwohl sie das alles wusste und auch wenn sie eine Frau war, die sich eine lebenslange innige Beziehung mit einem einzigen Mann wünschte, hatte sie sich in ihn verliebt.
Na bravo! Wie dumm konnte man denn eigentlich sein?!
Es war Irrsinn. Er würde sie völlig zerstören. Zertrampeln. Also, was blieb zu tun? Cassidy hob die Tasse und nippte daran. Ihr Blick glitt durch den Raum, doch dann kehrte sie wieder zu ihren Überlegungen zurück.
Bis das Porträt fertig war, würde sie weiter zu ihm gehen. Sie hatte schließlich ihre Zusage gegeben. Tag für Tag Zeit im Atelier zu verbringen und nicht zu reden … das würde sie nicht schaffen. Sie war noch nie gut darin gewesen, eine stille Fehde zu führen. Sie stützte die Ellbogen auf den kleinen Bistrotisch, die Tasse mit beiden Händen umklammert. Über den Rand des Bechers sah sie mit leerem Blick vor sich hin, ohne etwas zu sehen.
Mit ihm zu streiten war viel zu gefährlich, denn dann brodelten Emotionen an die Oberfläche. Sie wusste ja nicht genau, wie tief er in ihre Seele blicken konnte. Sie hatte nicht vor, sich selbst zu erniedrigen oder ihn in Verlegenheit zu bringen, nur weil sie dumm genug gewesen war, sich in ihn zu verlieben. Also blieb ihr nur, sich völlig natürlich zu benehmen. Sie würde für ihn posieren, würde antworten, wenn er sie etwas fragte, und sie würde freundlich sein. Die Arbeit an dem Bild schien ziemlich gut voranzugehen; in ein paar Wochen war es bestimmt fertig. So lange würde sie sich doch zusammennehmen können, oder? Und wenn das Bild vollendet war …
Düstere Gewitterwolken überzogen ihre Gedanken. Ja, wenn das Bild fertig war, was dann? Für einen Augenblick wurde ihr Blick unendlich traurig, sie sah verloren aus. Nun, wenn das Bild fertig war und Colin aus ihrem Leben verschwinden würde, dann drehte die Welt sich trotzdem noch weiter. Das Universum würde weiterhin existieren.
Wie unwichtig und klein das Glück eines Menschen doch im Vergleich dazu war.
Mit einem schweren Seufzer trank Cassidy ihren Kaffee aus und ließ sich von Jeffs melodischer Musik besänftigen.
Cassidy zog ihre Jacke enger um sich, während sie vor der Tür zum Atelier stand und in ihrer Tasche nach dem Schlüssel suchte, den Colin ihr überlassen hatte.
»Verflixtes Ding!«, brummelte sie vor sich hin und kramte weiter. Sie blies sich die Haare aus dem Gesicht. Inzwischen hielt sie einen Notizblock, drei Kugelschreiber und ein völlig mit Flusen verklebtes Karamellbonbon in der Hand.
»Wie ist das nur hier hereingekommen?«, murmelte sie leicht angeekelt. Mit einem Ruck hob sie den Kopf, als Colin die Tür öffnete. »Oh, hallo.«
Mit einem knappen Nicken erwiderte er ihren
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