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Die Geliebte des Malers

Die Geliebte des Malers

Titel: Die Geliebte des Malers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Gruß, dann senkte er den Blick auf ihre vollen Hände. »Suchst du etwas Bestimmtes?«
    Cassidy folgte seinem Blick. Verlegen stopfte sie alles zurück in ihre Handtasche und versuchte dabei würdevoll auszusehen. »Nein, nichts. Ich … ich hätte nicht erwartet, dich schon so früh hier anzutreffen.« Sie schob den Riemen der Tasche wieder höher auf ihre Schulter.
    »Sieht aus, als wäre es ganz gut, dass ich so früh hier bin. Hast du etwa den Schlüssel verloren, Cass?«
    Bei seinem Lächeln kam sie sich dumm und dilettantisch vor. »Nein, ich habe ihn nicht verloren. Ich kann ihn im Moment nur nicht finden.« Sie schob sich an Colin vorbei ins Atelier. Ihre Schulter streifte flüchtig seine Brust, und es durchzuckte sie wie ein elektrischer Stromschlag. Es würde also nicht so einfach werden, wie sie sich das vorgestellt hatte. »Ich ziehe mich um«, sagte sie kurz angebunden und verschwand.
    Als sie zurückkam, bereitete Colin bereits seine Palette vor. Er schenkte ihr nicht einmal einen kurzen Blick. Eine Welle der Erleichterung schwappte über Cassidy zusammen. Sie hätte sich also gar nicht so viel Sorgen zu machen brauchen!
    »Ich werde heute mit der Arbeit am Gesicht beginnen.« Colin mischte noch immer seine Farben. Dass er völlig neutral und unpersönlich von ihrem Gesicht sprach, war ein weiterer Beweis, dass er mit seinen Gedanken überhaupt nicht bei Cassidy St. John war, sondern nur bei seinem Bild. Den dumpfen Schmerz, der sich in ihrer Brust ausbreitete, ignorierte sie geflissentlich. Schweigend wartete sie, bis er mit seinen Vorbereitungen fertig war, dann ließ sie sich fügsam von ihm in Position stellen. Sie war fest entschlossen, ihm nicht den geringsten Grund zu geben, um sich aufzuregen. Doch als er ihr Kinn mit einer Hand fasste, versteifte sie sich und zog den Kopf zurück.
    Colins Augen blitzten auf. »Es reicht nicht, wenn ich die Form deines Gesichtes nur sehe.« Er richtete ihre Pose, mit völlig unpersönlichen Handbewegungen. »Ich muss es auch mit den Händen fühlen. Verstehst du das?«
    Sie nickte und kam sich albern vor. Colin wartete einen Augenblick, dann fasste er wieder nach ihrem Kinn, doch dieses Mal nur leicht, mit den Fingerspitzen. Cassidy zwang sich, ruhig zu bleiben.
    »Entspann dich, Cass. Ich brauche ein entspanntes Modell.«
    Er sprach so leise und mit so viel Geduld, dass sie sich tatsächlich entspannte, aus reiner Verwunderung. Colin murmelte beruhigend vor sich hin, während seine Finger über ihre Haut glitten.
    Für Cassidy war das die süßeste aller Qualen. Seine Berührung war so sacht, so leicht, obwohl er vor Konzentration die Brauen zusammenzog. Sie fragte sich, ob er die Hitze spüren konnte, die in ihre Adern schoss. Colin zeichnete ihre Wangenknochen mit den Fingerspitzen nach, und Cassidy konzentrierte sich ganz darauf, ruhig und gleichmäßig zu atmen.
    Sie versuchte sich einzureden, dass er sie nicht anders berührte als ein Arzt bei einer Untersuchung, doch als er seine Hand an ihrer Wange ruhen ließ, hob sie den Blick und sah ihm argwöhnisch in die Augen.
    »Halt still«, ordnete er brüsk an und ging an die Staffelei. »Sieh her zu mir«, befahl er ebenso knapp und nahm Pinsel und Palette auf.
    Cassidy gehorchte wortlos und versuchte, an etwas anderes zu denken als an den Mann, der sie malte. Doch sobald sie auf seinen Blick traf, wurde ihr klar, dass es hoffnungslos war. Sie konnte ihn nicht anschauen und ihn dann nicht sehen. Sie konnte nicht mit ihm zusammen sein und sich dann seiner Gegenwart nicht bewusst sein. Es gelang ihr ebenso wenig, ihn aus ihren Gedanken auszublenden, wie sie ihn aus ihrem Herzen verbannen konnte.
    War es denn so falsch, wenn sie sich erlaubte, ein wenig zu träumen? Wäre es falsch, wenn sie nach ein wenig Glück suchte, für die Zeit, die ihnen noch zusammen blieb? Kummer und Leid würden noch früh genug einsetzen. Konnte sie nicht einfach die Zeit mit ihm genießen und den Preis dafür zahlen, wenn es so weit war und sie ihn nicht mehr sehen würde? Es schien ihr eine so geringe Sache.
    Cassidy beobachtete ihn, während er arbeitete, prägte sich jede Geste und jedes Detail von ihm genau ein. Irgendwann würde die Zeit kommen, da sie sich an alles erinnern wollte, das wusste sie. Wie ihm das dunkle Haar in die Stirn fiel und sich über dem Kragen seines Hemdes lockte. Wie die dunklen Brauen sich hoben oder zusammenzogen und seine vielen verschiedenen Gemütslagen ausdrückten. Seine Gesichtszüge

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