Die Geliebte des Malers
Umkleidezimmer, um ihre Handtasche zu holen. Colin war nicht der Einzige, der eine Pause brauchte!
»Oh, gut, dass ich Sie noch erwische!« Gail schwebte ins Atelier, als Cassidy aus dem kleinen Zimmer hervorkam. »Ich dachte mir, dass wir uns vielleicht einmal unterhalten sollten.« Das angeknipste Lächeln flammte kurz auf ihrer Miene auf, während sie sich mit dem Rücken gegen die Tür lehnte. »Nur wir beide, unter vier Augen.«
Cassidy machte sich nicht die Mühe, den entnervten Seufzer zu unterdrücken. »Nicht jetzt.« Sie hängte sich ihre Tasche über die Schulter. »Für heute reicht es mir.«
»Ich werde es kurz machen.« Gail klang eigentlich freundlich, doch Cassidy spürte ihre unterschwellige Feindseligkeit.
Es ist wohl besser, ihr einfach zuzuhören, allem zuzustimmen, was sie sagt, und dann still und leise zu gehen, dachte sie. Das ist das Vernünftige. Sie lächelte, nicht herablassend, wie sie hoffte. »Na schön. Schießen Sie los.«
Gail fuhr sich hastig durchs Haar. »Ich habe mich wohl nicht klar genug ausgedrückt. Was Colin und mich betrifft.« Sie sprach die Worte geduldig aus, so wie ein Lehrer mit einem etwas langsamen Schüler reden würde. Cassidy beherrschte sich und nickte nur.
»Colin und ich sind schon seit einiger Zeit zusammen. Wir ergänzen uns und erfüllen ein gewisses Bedürfnis in dem anderen. Wir geben einander, was wir brauchen. Natürlich hat er über die Jahre immer wieder Flirts gehabt, über die ich hinwegsehen kann. Oft sind diese Geplänkel sogar für die Presse ganz bewusst aufgebauscht worden.« Sie zuckte mit einer Schulter. »Dieses romantische Image hilft dabei, die mystische Aura eines Künstlers zu erhalten. Ich werde alles unterstützen, wenn es seiner Karriere hilft. Ich verstehe ihn.«
Gail schien unfähig, für längere Zeit stillzustehen, sie begann im Zimmer auf und ab zu laufen.
»Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht ganz, warum Sie mir das erzählen«, setzte Cassidy an. Eine genaue Beschreibung von Colin Sullivans Umgangsweise mit Frauen war nun wirklich das Letzte, was sie im Moment hören wollte.
»Ich möchte nicht, dass zwischen uns Unklarheiten bestehen.« Gail blieb stehen und drehte sich zu Cassidy um. Ihre Augen glitzerten kalt. »Solange Colin an Ihrem Bild arbeitet, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie zu tolerieren. Aber sollten Sie mir in die Quere kommen …« Sie hakte einen Finger unter den Riemen von Cassidys Tasche. »Ich verfüge über Mittel und Wege, um Menschen, die sich mir entgegenstellen, beiseitezuräumen.«
»Das bezweifle ich nicht«, erwiderte Cassidy nüchtern. »Allerdings fürchte ich, Sie werden herausfinden müssen, dass ich nicht so leicht unterzukriegen bin.«
Mit spitzen Fingern entfernte sie Gails Hand von ihrer Tasche. »Ihre Beziehung zu Colin ist allein Ihre Sache. Ich habe nicht die Absicht, mich da einzumischen. Und zwar nicht«, fügte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu, »wegen Ihrer Drohung, Gail. Sie können mich nicht einschüchtern. Ehrlich gesagt, Sie tun mir nur leid.« Sie ignorierte Gails scharfen Atemzug und redete weiter. »Ihre Unsicherheit, so weit es Colin betrifft, ist wirklich bedauernswert. Ich stelle nicht die geringste Gefahr für Sie dar. Selbst ein Blinder würde merken, dass er nur daran interessiert ist, was er auf diese Leinwand dort drüben bannen kann.« Mit dem ausgestreckten Arm deutete sie zur Staffelei. »Sein Interesse gilt mir als Objekt, nicht als Person.« Sie verdrängte den scharfen Stich, der sie bei den eigenen Worten durchfuhr, und sprach jetzt schneller. »Ich werde mich Ihnen nicht in den Weg stellen, schon einfach deshalb nicht, weil ich nicht in Colin verliebt bin. Und ich habe auch nicht vor, mich in Zukunft in ihn zu verlieben.«
Cassidy wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte zum Atelier hinaus, nicht ohne die Tür lautstark hinter sich ins Schloss zu schlagen.
Erst als sie draußen auf der Straße stand und ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, um sich zu beruhigen, wurde ihr klar, dass sie gelogen hatte.
6. K APITEL
Für die nächsten zwei Tage vergrub Cassidy sich in ihre Arbeit. Sie war fest entschlossen, die Unterbrechung auszunutzen und ihren aufgewühlten Gefühlen eine Ruhepause zu gönnen. Um dieses Ziel zu erreichen, musste sie sich komplett von Colin abkapseln. Die kurzen täglichen Intervalle, in denen sie sich nicht sahen, waren nicht genug, um das zu schaffen. Sie musste ihn aus ihrem Kopf verdrängen, aus ihren
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