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Die Geliebte des Malers

Die Geliebte des Malers

Titel: Die Geliebte des Malers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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faszinierten sie. Absolute Konzentration lag in ihnen. Während er malte, hob er immer wieder den Blick und schaute zu ihr hin. In seinen Augen stand ein seltsam drängendes Bedürfnis, das die leuchtende blaue Farbe noch intensivierte.
    Seine Hände konnte Cassidy zwar nicht sehen, dennoch sah sie sie vor sich, vor ihrem geistigen Auge – schön und kraftvoll, mit langen schlanken Fingern. Sie erinnerte sich an das Gefühl, als er ihr Gesicht befühlt hatte, um es mit seinen Fingern zu erfahren, um mit den Fingern etwas zu sehen, das sie selbst wahrscheinlich nie erkennen würde. Wenn man sich schon gegen alle Vernunft und wider besseres Wissen in einen Mann verlieben musste, dann konnte es keinen perfekteren als Colin geben.
    Sie arbeiteten für Stunden, legten immer nur kurze Pausen ein, damit Cassidy ihre verspannten Muskeln lockern konnte. Colin drängte immer wieder ungeduldig darauf, erneut mit der Arbeit zu beginnen. Seine Stimmung strahlte bis zu Cassidy aus. Sie konnte seine Aufregung spüren und wusste: Hier geschah etwas Außergewöhnliches. Eine enorme Energie und Spannung lagen in der Luft, das Atelier vibrierte regelrecht.
    »Die Augen«, murmelte Colin und legte die Palette ab. Mit schnellen Schritten kam er zu Cassidy herüber. »Komm, ich brauche dich näher bei mir.« Er zog sie mit sich zurück zur Staffelei. »Die Augen können die Seele eines Porträts sein.«
    Er fasste sie bei den Schultern, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Der Geruch von Farben und Terpentin stieg Cassidy in die Nase. Sie würde nie wieder Terpentin riechen können, ohne an Colin zu denken.
    »Sieh mich an, Cass. Sieh mir direkt in die Augen.«
    Sie tat, wie ihr geheißen, auch wenn dieser Blick sie fast ihre Haltung kostete. Die Gefühle, die sie erfüllten, waren so intensiv, so überwältigend; sie reichten weit über alles hinaus, was sie je empfunden hatte. Sie konnte ihr Spiegelbild in seinen Augen sehen, und sie sah sich selbst.
    Ich bin in diesen Augen gefangen, dachte sie. In seinen Augen. Ihrer beider Atem vermischte sich, und Cassidys Lippen öffneten sich unwillkürlich, luden ihn ein. Etwas flackerte auf und wäre fast zu einer lodernden Flamme geworden. Abrupt trat Colin hinter seine Leinwand zurück.
    Ohne zu überlegen, entschlüpften Cassidy die Worte. »Was hast du gesehen?«
    »Geheimnisse«, murmelte er, den Pinsel schon wieder in der Hand. »Träume. Nein, wende den Blick nicht ab, Cass. Es sind deine Träume, die ich brauche.«
    Hilflos blickte Cassidy ihn wieder an. Es war viel zu spät, um noch zu widerstehen. Colin legte Pinsel und Palette ab, studierte mit gerunzelter Stirn die Leinwand, dann trat er auf Cassidy zu und lächelte.
    »Es ist perfekt. Du hast mir genau das gegeben, was ich brauche.«
    Ein alarmierendes Gefühl überkam sie. »Ist es fertig?«
    »Nein, aber fast.« Er nahm ihre beiden Hände in seine und küsste die Handflächen. »Schon bald.«
    »Bald«, wiederholte sie, und es war ein erschreckendes Wort. Fieberhaft unterdrückte sie die Trauer, die sie überwältigen wollte. »Dann muss es ja gut vorangehen.«
    »Ja, das tut es.«
    »Aber du wirst mir noch immer nicht erlauben, es zu sehen, oder?«
    »Ich bin abergläubisch.« Er drückte ihre Finger sanft. »Tu mir den Gefallen und dräng mich nicht.«
    »Gail hast du es sehen lassen.« Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme feindselig klang.
    »Gail ist Künstlerin«, stellte Colin sachlich fest. Er gab ihre Hände frei und strich über ihre Wange. »Nicht das Modell.«
    Mit einem Seufzer gab Cassidy sich geschlagen und begann im Raum herumzugehen. »Sicher wirst du sie auch gemalt haben … irgendwann einmal. Sie ist so voller Energie, so lebendig.«
    »Und sie kann keine fünf Minuten lang stillstehen und die Pose halten.« Ungerührt begann er am Arbeitstisch die Pinsel zu reinigen.
    Lächelnd lehnte sich Cassidy an das Fenstersims. »Und wenn du das Meer malst? Befiehlst du den Wellen und den Wolken einfach, stillzustehen? Ich glaube fast, das tust du.« Sie hob ihr Haar im Nacken hoch und ließ es dann wieder mit einem Seufzer fallen, sodass es ungezähmt über ihre Schultern fiel. Sonnenstrahlen tanzten darauf, hoben die Schattierungen hervor.
    Als sie den Kopf lächelnd nach Colin umdrehte, bemerkte sie, dass er sie reglos beobachtete, den Pinsel und das terpentingetränkte Tuch in den Händen. Irgendetwas drängte sie dazu, zu ihm zu gehen. Doch stattdessen ging sie auf die gegenüberliegende

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