Die Geliebte des Normannen
Treppe hinunter. Unten angekommen, konnte sie nicht weitergehen, ohne entdeckt zu werden.
Aber von hier aus war jedes Wort zu verstehen, und sie sprachen über exakt das, was sie befürchtet hatte – einen Angriff auf Carlisle.
»Er zieht jeden Ritter ein, den ich aufbieten kann«, sagte Geoffrey soeben.
»Wie stehst du mit Anselm?«, fragte Stephen mit seltsam hohler Stimme.
»Wir sind Feinde. Er ist wesentlich fanatischer, als ich jemals gedacht hätte«, antwortete Geoffrey grimmig. »Aber Rufus braucht Canterbury mehr denn je. Meine Spione berichten, dass Prinz Henry über deine Heirat so wütend ist, dass er sich weigert, sich an dieser Sache zu beteiligen. Während ich mich an den Bettelstab bringe, um diese Männer aufzubieten, da die Kassen von Canterbury leer sind.«
»Deine Pflicht ist eindeutig. Und auch wenn du dabei verarmst, vergiss nicht, wie nahe du daran bist, deine wahre Belohnung zu erhalten«, erklärte Rolfe bestimmt. »Kein Preis ist zu hoch, wenn du dafür eine Ernennung vom König bekommst.«
Geoffrey erwiderte nichts darauf.
»Mach dir nichts vor«, fuhr Rolfe fort. »Henry will sich nur deshalb nichts zuschulden kommen lassen, damit er sich die Nase bei einer anderen Gelegenheit blutig schlagen kann. Ist es nicht besser für uns alle, gemeinsam zu kämpfen – und gemeinsam geschwächt zu werden? Wer könnte besser als Nächster in die Bresche springen als der ach so schlaue Prinz?«
»Hoffen wir, dass Carlisle schnell fällt, damit wir nicht zu viele Verluste erleiden und ich nicht unnötig Geld verliere«, sagte Geoffrey nach einer Pause bitter. »Und dass es Henry erspart bleibt, in irgendeine Bresche zu springen.«
Schließlich sprach Stephen wieder.
»Der Regen arbeitet gegen uns«, sagte er. »Wir sind sehr auf unsere berittenen Kämpfer angewiesen, und im Schlamm haben die Pferde Schwierigkeiten.«
»Mir wäre eine solche Aktion vor einem Monat lieber gewesen, wenn wir uns denn schon beteiligen müssen, aber nun haben wir keine große Wahl mehr«, erklärte Rolfe. »Der König hat sich entschlossen. Er ist nicht umzustimmen.«
» Ja«, pflichtete Stephen bei, »Rufus hat sich schon vor langer Zeit dazu entschlossen, und nichts und niemand wird ihn davon abhalten können.«
»Wenigstens überraschen wir Malcolm«, bemerkte Geoffrey, erneut voller Bitterkeit. »Schließlich hast du eben erst seine Tochter geheiratet.«
»Ja«, sagte Stephen, »wir werden Malcolm definitiv überraschen.«
Mary würgte es.
Er hatte die Worte seinen Bruders so leidenschaftslos wiederholt. Wie konnte Stephen nur so sachlich sein, so völlig emotionslos, wenn sie über einen Verrat an ihrem Land, ihren Leute, ihren Verwandten sprachen?
Die volle Bedeutung dessen, was sie gehört hatte, traf sie wie ein Faustschlag.
Ihre Ehe war nichts als eine Farce, dachte sie bitter. Sie war nicht seine geliebte Gemahlin, sondern lediglich Geliebte und Dienstmagd in einer Person. Er machte sich absolut nichts aus ihr, sonst hätte er doch wenigstens ein klein wenig Bedauern darüber ausgedrückt, dass er das mit ihrem Vater getroffene Bündnis brach!
Mary wollte weinen, sie wollte brüllen und schreien. Ihre Ehe bedeutete ihm, vom politischen Nutzen abgesehen, wenig oder nichts – und sie zweifelsohne noch weniger. Keuchend klammerte sie sich ans Treppengeländer und versuchte, nicht zu heulen.
Es war sinnlos, noch länger zu lauschen, beschloss sie und zwang sich, Vernunft anzunehmen. Nicht zuletzt, weil es im Saal nun still war.
Sie hatte erfahren, was sie erfahren wollte. Wie sehr es schmerzte. Es war so schwer, nicht loszuweinen. Sie stellte sich vor, dass die Männer nun alle mit der bevorstehenden Schlacht beschäftigt sein würden. Verflucht sollten sie alle sein! Auch und vor allem Stephen, ihr Gemahl! Mary schickte sich an hinaufzugehen.
In ihrem Zorn rutschte sie nach ein paar Stufen aus und schrie vor Schreck auf. Entsetzt und überzeugt, dass man sie im Saal gehört hatte, erstarrte sie, bevor sie sich aufrappelte, um zu fliehen.
Doch zu spät!
Ihr Gemahl war schneller, wesentlich schneller, als sie.
Mary erkannte den Griff seiner Hand und seine Stärke sofort. Er zog sie am Genick hoch, wirbelte sie herum und ließ sie fallen. Sie strauchelte, ebenso sehr wegen der Kraft, mit der er sie packte, wie auch wegen seiner bestürzten, ungläubigen Miene.
In diesem Moment war ihr alles gleichgültig; sie war zu empört, um sich Gedanken zu machen.
»Der Teufel soll dich holen!«, zischte
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