Die Geliebte des Normannen
fremd war. Schon seit Jahren kannte er diesen Schmerz, der ihn immer in schwierigen Zeiten heimsuchte.
Er war seit ein paar Tagen verheiratet, und alle seine Erwartungen waren übertroffen worden. Hätte er sich nicht besser gekannt, er hätte sich für einen romantischen Narren gehalten, so sehr erfreute ihn seine Braut, so sehr liebte er sie. Er konnte kaum glauben, dass er eine rote Rose gefunden und ihr geschenkt hatte. Und sie verstand die Bedeutung dieser Rose vollkommen. Sie war davon sehr angetan gewesen, das hatte er ihr angesehen.
Er sollte also rundum glücklich sein. Aber stattdessen quälten ihn die schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens.
Denn eine schreckliche Frage blieb. Hatte Rolfe es geschafft, den König von seinem Vorhaben abzubringen, Malcolm zu hintergehen und Carlisle einzunehmen? Oder war Rufus im Begriff, gegen die Heimat seiner, Stephens, Braut und ihre Familie einen Krieg anzuzetteln?
Jesus, wie würde sie reagieren, wenn er gegen Malcolm in die Schlacht zog? Könnte sie verstehen, dass er seine Pflicht gegenüber seinem König erfüllte? Würde sie ihn unterstützen, so wie es ihre Pflicht war?
Seine Gemahlin. Seit Mary nach dem Anschlag auf ihr Leben aus der Ohnmacht erwacht war, hatte sich ihre Beziehung verändert. Es stand außer Frage, dass sie ihr Schicksal akzeptiert hatte, dass sie am Tag ihrer Hochzeit freiwillig als seine Ehefrau zu ihm gekommen war. Ihren Pflichten in Alnwick kam sie mit großer Freude nach, und er merkte sehr deutlich, dass sie ihm gefallen wollte. Darüber war er bei Gott hoch erfreut. Aber besaß er wirklich ihre volle Loyalität?
Mary war einer der stolzesten, entschlossensten Menschen, die er je getroffen hatte. Konnte sie, dieses »kleine Biest«, das gegen ihn gekämpft und ihm bei jeder Gelegenheit getrotzt hatte, bis jemand tatsächlich versuchte, sie zu ermorden, konnte sie sich bezüglich ihrer Treue und Ergebenheit wirklich so schnell und vollständig ändern? War sie im Herzen seine Gemahlin, so wie er nun mit ganzem Herzens ihr Gemahl war?
Er wusste es nicht.
Er fürchtete sich vor dieser Erkenntnis.
Und er fürchtete sich vor dem, was die nächsten Tage bringen würden.
Am folgenden Nachmittag trafen der Graf und die Gräfin von Northumberland in Alnwick ein. Isobel und Geoffrey begleiteten sie.
Stephen war nicht in der Burg, als sie ankamen, deshalb ging Mary in den Hof, um ihre Schwiegereltern gebührend zu empfangen. Warme, herzliche Begrüßungen wurden ausgetauscht. Mary merkte mit großer Freude, dass sie von der Familie ihres Gemahls nicht nur akzeptiert, sondern wirklich geliebt wurde.
Danach eilte sie nach oben und kümmerte sich darum, dass ihre und Stephens Habseligkeiten aus dem großen Gemach entfernt wurden. Rufe vom Wachturm, gefolgt vom Geräusch einer Reiterschar auf der Zugbrücke und im Burghof kündeten von Stephens Rückkehr an. Mit froher Miene trat Mary an den Fensterschlitz und beobachtete, wie ihr Gemahl von seinem Streitross glitt und die Zügel seinem Knappen überreichte. Er war bis zu den Knien voller Schmutz; in den letzten Tagen hatte es unaufhörlich geregnet. Stephen würde dringend ein Bad benötigen, doch sie war sicher, dass er dies bis nach dem Abendessen aufschieben würde, denn bestimmt wollte er zuerst die Gesellschaft seiner Familie genießen.
Etwas später, nachdem sie sichergestellt hatte, dass das Schlafgemach für den Grafen und seine Gemahlin vorbereitet war, ging Mary nach unten. Als sie sich dem Saal näherte, bemerkte sie, dass der Graf und seine Söhne in eine angestrengte, aber nur halblaut geführte Diskussion vertieft waren.
Beim Hinuntergehen hatte sie nicht eine einzige weibliche Stimme gehört, deshalb kam sie sich ein wenig wie ein Eindringling vor und verlangsamte ihre Schritte.
Gerade als sie um die Ecke bog, hörte sie Geoffrey sagen, die Befestigungen von Carlisle seien alt und baufällig und müssten repariert werden.
Mary konnte nur erahnen, dass es sich bei dem Thema, mit dem sich die drei Männer am Tisch bei ihrem Eintreten beschäftigten, um Carlisle handelte. Sie verstummten sofort. Mary hielt inne. Ihr Lächeln erstarb, der Gruß, der ihr auf der Zunge gelegen hatte, war vergessen. Die drei de Warennes blickten alle unverwandt und ernst auf sie. Man empfand sie ganz offenbar als störend, und ebenso offensichtlich war, dass sie das Gespräch der Männer nicht mitbekommen sollte.
Zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit fühlte sich Mary nicht als die Herrin von
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