Die Geliebte des Normannen
sie, bedauerte ihre Worte jedoch sofort.
Aus seinem Schock wurde Zorn. Sie machte kehrt und rannte los.
Die Ungeheuerlichkeit dessen, was sie getan hatte, traf Mary wie ein Schlag. Sie hatte ihren Gemahl belauscht und, schlimmer noch, sich dabei erwischen lassen und sich quasi als Spionin präsentiert. Sie schrie auf, als sie Stephens Schritte hinter sich auf der Treppe hörte. Entsetzt lief sie in ihr gemeinsames Gemach, ihm gerade noch einen Schritt voraus, und wollte die Tür verschließen – aber wieder war es zu spät, er stand bereits auf der Schwelle und stieß die Tür mit einem mächtigen Stoß auf, als sei sie aus dünnem Buchenholz und nicht aus schwerer, dreilagiger Eiche.
Mary wich vor ihm zurück. Tränen benetzten ihre Wangen.
Stephen überragte sie, die Augen geweitet, die Miene eisern und am ganzen Körper zitternd vor Wut.
»Du spionierst mir nach – deinem eigenen Gemahl?« »Du führst Krieg gegen mein Volk?«, gab sie zurück. Stephen starrte sie stumm an.
»Wie kannst du nur?«, schrie Mary. Ihr Herz raste. »Wie kannst du nur jetzt in den Krieg ziehen?«
»Du zweifelst an mir?«, fragte er schließlich leise und gepresst. Seine Kiefernmuskeln traten hervor, so fest biss er die Zähne zusammen. »Ihr klagt mich an? Ich tue meine Pflicht, Madame, so wie Ihr die Eure tut!«
Mary erwiderte nichts. Sie bebte.
»Madame«, fuhr er sehr steif fort, und nun bebte auch er. »Der Krieg ist nicht Eure Angelegenheit. Ihr habt Euch nur um eines zu kümmern, und das ist mein Wohlergehen.«
»Ja, dein Wohlergehen ist meine Angelegenheit«, sagte Mary mit schwankender Stimme. »Aber wenn ihr gegen meine Familie, meine Heimat in den Krieg zieht – dann wird dieser Krieg zu meiner Angelegenheit! Und verlange nicht von mir, unbeteiligt zu bleiben!«
»Das verlange ich nicht. Aber ich frage dich: Habe ich deine Loyalität, Mary?«
»Ziehst du in den Krieg gegen Schottland, Stephen?«, fragte sie zurück. »Tust du das?«
»Du hast mir keine Antwort gegeben, Mary.« Seine Miene, seine Haltung, sein Ton, alles signalisierte jetzt Gefahr.
»Du mir auch nicht«, flüsterte Mary gepeinigt. Sie presste die Hände gegen die Brust, an ihr schmerzendes Herz. »Antworte mir, Mary!«, forderte Stephen.
»Ja«, sagte sie, so wie wohl ein Höriger antwortete, dessen Willen man gebrochen hatte. »Ja.«
»Belügst du mich?« Sein Ton wurde höher, der Blick wilder. »Hast du nicht gelauscht?«
»Doch.« Sie schloss die Augen, nur für einen Moment. »Wie könnt Ihr eine loyale Gemahlin sein, Madame, wenn Ihr mir nachspioniert?«
Sie antwortete nicht.
»Antwortet mir!«, brüllte er und erhob seine Hand. Mary zuckte zusammen. Er hielt mitten im Schlag inne, packte sie stattdessen an den Schultern und schüttelte sie. Mary hatte Angst; sie wusste, dass er jeden Augenblick brutal werden konnte. »Du spionierst in meinem eigenen Haus hinter mir her! Ist das keine Treulosigkeit?«
»Ich hasse dich«, flüsterte Mary.
Sie merkte, dass sie weinte. Nur Stunden zuvor hatte sie in seinen Armen gelegen, nur Stunden zuvor war sie voller Liebe für diesen Mann gewesen. Für diesen Mann, der sich überhaupt nichts aus ihr machte.
Er zog sie an sich, und sie standen sich einen Moment lang Auge in Auge gegenüber.
»Jetzt kommen wir also zur Wahrheit!«
»Die Wahrheit ist«, entgegnete sie, »dass du nicht anders bist als mein Vater. Du heiratest mich, um mich zu benutzen, damit ich dir bei deinem schmutzigen Verrat helfe.«
Er warf sie auf das Bett.
Mary krümmte sich in Erwartung seiner Schläge zusammen. Doch sie kamen nicht.
Stephens Hände zwangen sie rau und hart auf den Rücken, sodass sie keine andere Wahl hatte, als ihn anzusehen. Er beugte sich über sie.
»Mein Verrat? Mein Verrat? Ihr wagt es noch immer, mich zu beschuldigen? Ich möchte, dass Ihr Euren Verrat erklärt, Madame Gemahlin! Erklärt Euch, jetzt, sofort!«
Mary wusste nicht, was sie zu ihrer Verteidigung hätte vorbringen können; sie hatte gar nicht den Wunsch, sich zu verteidigen, nicht gegen ihn, nicht jetzt.
»Wo ist dieser kluge Verstand nun? Wollt Ihr nicht wenigsten die Anklage zurückweisen?«
Mary wischte sich mit der Hand über die Augen und schwieg verbissen.
Stephen drückte sie auf das Bett. »Ihr seid meine Gemahlin, Madame, meine Gemahlin! Wir haben unser Gelöbnis vor Gott abgelegt. Was ist nun mit Eurem Gelöbnis, Madame?«
Er war so wütend, dass sie keine Wahl hatte als zu antworten. »Ihr werdet mir nicht glauben,
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