Die Geliebte des Normannen
in den Krieg gegen Schottland gezogen bist«, sagte Brand langsam. »Aber du hattest keine Wahl. Das versteht sie doch sicher.«
»Sie versteht mich nicht – ebenso wenig wie ich sie.« Stephen erhob sich, wandte seinem Bruder jedoch den Rücken zu. Brand sagte nichts, und so drehte er sich wieder etwas um. »Sag mir, Bruder, was hältst du von meiner Gemahlin?«
Brand wurde vorsichtig.
»Eine gute Frage.«
»Kommt sie einem nicht vor wie ein Engel? Schön, vollkommen und unschuldig?«
»Ja.«
Stephen lachte kurz.
»Nichts an ihr ist vollkommen oder unschuldig.«
Brand stand auf. »Stephen, ich weiß, was passiert ist. Geoffrey hat es mir erzählt.«
»Dann weißt du ja, dass sie eine kleine Lügnerin ist.«
Brand zögerte. »Es ist gut, dass du herausgefunden hast, auf welcher Seite sie wirklich steht. Und nun vergiss es. Lass dir von ihr einen Erben geben, und wenn sie es wagt, ihr Verhalten zu wiederholen, dann verbanne sie, so wie du es musst.«
»Bei dir klingt das alles sehr simpel.« Stephen blickte Brand mit einem höhnischen Lächeln ins Gesicht. »Ich fürchte, ich werde sie nur sehr widerstrebend in die Verbannung schicken, falls es dazu wirklich kommt.«
Brand war überrascht. »Aber das musst du tun, Stephen. Diesmal hatte ihre Heimtücke keine Folgen, aber was wäre gewesen, wenn sie es geschafft hätte, Malcolm zu warnen? Dann wären jetzt viele Normannen tot, vielleicht sogar du oder ich.«
Stephens Miene war zornig. »Glaubst du, das weiß ich nicht? Ich weiß es nur zu gut!«
»Dann denke immer daran und vergiss es nicht«, warnte ihn Brand ernst und ergriff seine Schulter. »Es ist spät. Ich weiß, wie dein Übel zu heilen ist. Geh zu deiner schönen Braut und zeuge diesen Erben. Ich garantiere dir, das wird dir helfen.« Er grinste breit.
Stephen beobachtete ihn, wie er zu seinem Lager ging. Er konnte seinem Bruder nicht offenbaren, dass er im Saal blieb, weil er Angst hatte. Enthaltsamkeit im Hinblick auf seine Gemahlin kam nicht infrage. Zumindest nicht, bis sie empfangen und ihm einen Erben geboren hatte. So gesehen hatte er die Absicht, Mary zu nehmen, wann immer ihm danach war. Was er ja auch musste, wenn er einen Erben zeugen wollte. Aber wie konnte er sich unter Kontrolle halten? Er fürchtete, trotz ihres Verrats von zügelloser Leidenschaft überwältigt zu werden. Und wenn das der Fall war, würde Mary dies sofort erkennen und die Oberhand gewinnen.
Jeder seiner Instinkte warnte ihn wie auf dem Turnierplatz oder im Krieg. Zweifellos würde er ein gefährliches Territorium betreten, wenn er sich in ihr Bett legte. Er würde ihr eine immense Macht über ihn geben, eine Macht, die er ihr nicht anzuvertrauen wagte.
Und leere Drohungen bezüglich einer Verbannung würde sie auch bald erkennen. Mary war viel zu klug. Wenn sie einen Grund dafür lieferte, dann musste er tun, was zu tun war, dann musste er sie fortschicken, auch wenn ihm das noch so zuwider war.
Andernfalls würde Mary sein Ruin werden.
Stephen wandte sich rasch um. Er war kein Feigling. Aber vor der eigenen Gemahlin Angst zu haben, das war der Gipfel der Feigheit. Er hatte immer getan, was er tun musste. Wenn sie ihm einen Grund dafür gab, würde er sie sofort in die Verbannung schicken. Und er würde sich im Bett beherrschen, damit sie nicht merkte, wie sehr er mittlerweile von ihr besessen war. Hatte er denn nicht vor langer, langer Zeit, als junge Geisel am Königshof, gelernt, seine Gefühle zu verdrängen? Damals war das eine Überlebenstaktik gewesen. Und vielleicht würde es das auch jetzt wieder sein.
Mary gab nicht vor zu schlafen. Wie üblich lag sie nackt unter den Decken und Fellen ihres Betts, das Haar offen, unbedeckt und gebürstet. Es glänzte im flackernden Feuer des Kamins. Auf Stephens Vorschlag hin hatte sie vor dem Abendessen gebadet, wenngleich nicht in seinem Bad. Auch das Haar hatte sie gewaschen, im Gedanken daran, wie sehr Stephen es einmal bewundert hatte.
Sie hielt ein Kissen in den Armen und dachte voller Bangen an Stephen. Würde er heute Nacht mit ihr schlafen? Würde er versuchen, sie zu lieben? Sie glaubte nicht, dass er die Unannehmlichkeit auf sich nehmen würde, auf einem Lager unten im Saal zu übernachten, auch wenn er sie noch so sehr meiden wollte. Beim Essen hatte er sie mit Beiläufigkeit behandelt, was sie als Zeichen dafür nahm, dass er in der Tat heute Nacht das Bett mit ihr teilen wollte. Aber ob er sie berühren würde, war damit natürlich noch nicht
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