Die Geliebte des Normannen
verrückt machte, doch sie wagten nicht, etwas zu sagen. Der Vormittag verging quälend langsam; es wurde Mittag. Niemand brachte einen Bissen hinunter. Der Nachmittag verstrich; die Dämmerung brach an, und noch immer kam keine Nachricht. Offenbar hatte der heftige Schneefall alle Boten mit den Neuigkeiten vom zweiten Tag der Kämpfe aufgehalten. Der Nachthimmel hob sich schwarz gegen die winterweiße Landschaft und den eisverkrusteten See unterhalb der Burg ab. Dann endlich traf ein Bote ein.
»Lasst ihn kommen«, sagte Margaret. Sie war so weiß wie der Schnee draußen auf den Bäumen.
Mary trat unwillkürlich an die Seite ihrer Mutter und legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. Eine große Angst stieg in ihr empor. Sie hätte Margaret zwingen sollen, mittags etwas zu essen.
Der Bote trat ein und schüttelte sich den nassen Schnee vom Umhang. Es war ein junger Mann, seine Stiefel waren von gefrorenem Schmutz bedeckt, ein Arm war verbunden, das Leinen dunkelrot von Blut. Er war fahl im Gesicht und wirkte erschöpft. Schon beim ersten Blick auf ihn wurde Mary absolut still. Es war klar, dass die Schotten an diesem Tag eine schreckliche Niederlage erlitten haben mussten.
»Der König ist tot«, sagte der Mann.
Mary wusste, dass sie sich verhört hatte. Sie wollte protestieren – sicher hatte sie ihn nicht richtig verstanden.
»Malcolm ist tot«, wiederholte er, und dieses Mal erstickte ein Schluchzen beinahe seine Worte.
»Nein«, widersprach sie ungläubig. »Das kann nicht ...« Ein dumpfer Laut unterbrach sie. Mary zuckte zusammen, und dann sah sie Margaret auf dem Boden liegen, die Augen geschlossen, das Gesicht leblos und bleich wie der Tod. »Mutter!«
Alle Frauen eilten zur Königin. Mary hielt das Gesicht ihrer Mutter in den Händen und spürte den flachen Atem; sie presste ein Ohr auf ihre Brust und hörte den schwachen, aber stetigen Herzschlag. Tränen der Erleichterung stiegen ihr in die Augen.
Sie blickte auf.
»Bringt eiskalte Tücher, damit sie wieder zum Leben erwacht. Schnell! Sie ist nur durch den Schock ohnmächtig geworden.«
Während einige Frauen eilends ihrem Befehl nachkamen, versuchte Mary vorsichtig, ihre Mutter wiederzubeleben. Sie schüttelte sie und redete mit ihr, doch Margaret wollte nicht zu sich kommen. Marys Verzweiflung wuchs. Sie war sich Margarets eigenartigen Zustands und ihrer schlechten Gesundheit sehr bewusst. Ihre anfängliche Erleichterung verschwand. In dieser Verfassung war Margaret allzu anfällig. Schließlich schlug sie ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Margaret öffnete die Augen.
»Gott sei Dank!«, rief Mary.
Margaret blickte ihre Tochter an, ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sich über ihre Wangen ergossen. Sie schloss die Lider, weinte heftig und kauerte sich zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben.
Mary nahm ihre Mutter in die Arme, bleich vor Schrecken, und wiegte sie zärtlich, während Margaret weiter weinte.
»Bringt mir Wein und Baldrian«, sagte Mary mit einer Ruhe, die sie innerlich nicht fühlte. »Und holt zwei Männer; wir müssen die Königin zu Bett bringen.«
Ein oder zwei Stunden später, Mary wusste es nicht genau, öffnete Margaret die Augen.
»Ich wusste es«, sagte sie heiser, in kaum hörbaren Worten.
Mary war um ihre Mutter so besorgt gewesen, dass sie keine Zeit gefunden hatte, über die Nachricht vom Tod ihres Vaters nachzudenken. Nun ergriff sie Margarets Hände und beugte sich über sie.
»Mutter, du musst stark sein. Du musst etwas von der Schleimsuppe essen, die Jeanne für dich gekocht hat. Bitte.«
»Ich muss beten«, sagte Margaret schwach. »Hilf mir auf. Ich muss für die Seele deines Vaters beten.«
Mary erkannte, dass ihre Mutter in die Kapelle gehen wollte.
»Nein«, erklärte sie bestimmt. »Pater Joseph kommt hierher. Er ist schon unten.«
Margaret sank auf die Kissen zurück, die Augen geschlossen, ihre Lippen bewegten sich in stummem Gebet. Mary eilte zur Tür, vor der Margarets Hofdamen warteten, die ihre Königin wie jeder, der sie kannte, liebten und die nun bleich und verängstigt waren. Auf Marys Bitte hin beeilte sich Lady Matilda, den Priester zu holen.
Dann ging sie zu ihrer Mutter zurück und ließ sich neben dem Bett auf die Knie sinken. Sie kämpfte dagegen an, über Malcolms durch die Armee ihres Gemahls herbeigeführten Tod nachzudenken. Sie konnte es nicht. Sie durfte es nicht. Sie musste sich jetzt um ihre Mutter kümmern, und deshalb stellte sie ihre Gedanken mit
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