Die Geliebte des Normannen
Ringen unter den Augen; er sah aus wie ein verbrauchter Mann mittleren Alters, nicht wie ein Siebzehnjähriger. Sein Blick glitt kurz über Mary und blieb an ihrer Mutter haften.
»Das verstehe ich nicht«, sagte er mit heiserer Stimme. »Unten haben sie mir gesagt, sie sei an der Schwelle des Todes.«
Mary erhob sich, ihre Knie waren steif und schmerzten schrecklich vom stundenlangen Knien an der Seite ihrer Mutter. Ihr ganzer Körper tat ihr weh, doch das war nichts im Vergleich zu dem Schmerz in ihrer Brust.
»Sie hat die Nachricht von Malcolms Tod nicht verkraftet«, sagte sie mit bebender Stimme.
Edgars Anblick drohte ihre mühsam aufrechterhaltene Kontrolle ins Schwanken zu bringen. Sie atmete tief durch, um sich zu fassen.
»Als ich hier ankam, war sie in einem erschreckenden Zustand. Sie hatte tagelang nicht gegessen und geschlafen und war vor Sorge krank geworden. Es scheint«, sagte sie, und ihre Stimme stockte, »dass sie eine Vorahnung von Malcolms Tod hatte.«
Tränen glänzten in Edgars Augen.
»Er ist einen Heldentod gestorben, so wie er es sich gewünscht hat, wie alle Männer zu sterben hoffen – inmitten der Schlacht, stolz und tapfer.«
Mary schlang schaudernd die Arme um sich. Sie durfte jetzt nicht an Malcolm denken. Morgen, wenn es Margaret besser ging, dann konnte sie sich ihrem Gram hingeben. Edgar unterbrach ihre Gedanken.
»Edward ist tot.«
Mary schrie auf.
Edgar eilte zu ihr und schloss sie in die Arme. Mary drückte fest die Augen zu. Heiße Tränen sammelten sich unter ihren Lidern, doch sie weigerte sich, sie zu öffnen und die Flut loszulassen.
Edward, nicht Edward, ihr ältester Bruder, ihr lieber Freund, ihr Held!
Sie glaubte es nicht, sie konnte es nicht glauben!
Edgar flüsterte ihr tröstend ins Ohr, streichelte ihr über den Rücken. Edgar, der sie nie umarmt oder offen seine Liebe für sie gezeigt hatte. Edgar, der gestern noch ein Junge von siebzehn Jahren gewesen und heute ein Mann von fünfzig geworden war.
»Die Wunde war tödlich. Er hat zu viel Blut verloren. Er starb im Schlaf, Gott sei Dank, ohne Schmerzen.«
Edward war tot.
«Ich kann nicht«, begann Mary mit heiserer Stimme. Plötzlich schob sich Edgar von Mary weg.
»Dein Gemahl führt sie an«, stieß er hervor.
Mary richtete sich auf.
»Er ist unbesiegbar! Er hat sich weit in unsere Reihen vorgeschoben, mehrmals und ganz allein, hat sich wieder und wieder unseren Männern ausgesetzt – aber keiner kann sich ihm nähern, ohne seinem Schwert zum Opfer zu fallen. Er schlägt jeden nieder, der sich ihm in den Weg stellt. Sie sagen, er sei besessen; entweder das, oder er ist der Tod selbst!« Mary war steif, bewegungslos. Irgendwie hatte Stephen von ihrer Flucht erfahren, daran bestand kein Zweifel. Stephen war nicht vom Teufel besessen, sondern von einem übermenschlichen Zorn. Sie fröstelte vor Angst.
Edgar zog sie am Arm. »Er hat geschworen, einen Pfad der Zerstörung bis zu deiner Tür zu schlagen, Mary. Er hat einen der Gefangenen entlassen, um uns diese Nachricht zu überbringen. Seine genauen Worte sind, dass er dich zurückhaben will, nicht trotz, sondern wegen deines Verrats.«
Mary begann zu zittern.
»Er will mich bestrafen«, flüsterte sie.
»Ich stelle mir eher vor, dass er dich töten will«, erwiderte Edgar. »Ich habe in Alnwick kurz sein Gesicht zu sehen bekommen, und sogar ich war darüber entsetzt.«
Mary wimmerte. Sie hatte Stephen in seinem Zorn erlebt. Konnte er sie so sehr hassen, dass er sie töten wollte? Konnte er sie sich tot wünschen?
Zwei Tage später starb Margaret.
Mary war wie betäubt, schockiert, erschöpft. Sie merkte, dass sie noch immer neben ihrer Mutter kniete und ihre steifen Hände hielt. Wie lange kniete sie schon so? Sie zwang ihren Körper, ihrem Verstand zu gehorchen, und schaffte es, sich langsam und unbeholfen aufzurappeln.
Qualvolles Wehklagen erfüllte seit einiger Zeit den Raum. Es war die schottische Art, laut und offen und ohne Zurückhaltung zu trauern. Mary hörte Margarets Hofdamen, die draußen vor der Tür hysterisch jammerten, sie hörte die Männer und Frauen unten im Saal, die ebenfalls klagten und weinten, und die Menschen draußen auf dem Burghof. Immer wieder gingen die Wellen des herzzerreißenden gemeinschaftlichen Trauerns über sie hinweg, bis der Schmerz, den sie ausdrückten, schließlich Marys Schock durchdrang.
Sie spürte, wie sich in ihrer Brust eine riesige Blase sammelte, immer größer wurde und ihr die Luft
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