Die Geliebte des Piraten
half Willa aufzustehen und führte sie durch den Dschungel.
Perth und Kahlid liefen voraus, um die Renegade zu alarmieren und das Langboot aus seinem Versteck zu ziehen. Der Dschungel hallte plötzlich von lauten Rufen wider, und Trommeln begannen zu dröhnen. Kriegstrommeln. Raiden nahm Willa das Kind ab, und sie rannten zum Strand.
Sie schafften es knapp bis zum Boot und in das Wasser, als der Strand sich mit Eingeborenen füllte. Wie gierige Ameisen, die sich über ein Stück fauliges Fleisch hermachten, fielen sie ein, schleuderten Speere und Steine auf die Flüchtenden. Zweimal wurden Perth und Vazeen von dem Steinhagel getroffen. Aber sie ruderten unbeirrt weiter, während Raiden der Renegade Zeichen gab.
Mit einem Bündel gezielter Schüsse nahmen die Kanoniere der Renegade die Küste unter Feuer, zerfetzten den Strand, so dass Sand und Krieger durch die Luft gewirbelt wurden. Unter dem Sperrfeuer rührte sich Mason, der in Willas Armen lag, und sie schaute auf ihn herunter, als er die Augen öffnete.
Zunächst zeigte er kein Zeichen des Erkennens, aber als er zu begreifen begann, umschlang er mit seinen dünnen Armen Willas Nacken, und sie hörte das Wort, das einzige Wort, das er je gesprochen hatte: »Mama.«
Willa spürte, wie durch dieses Wort alles Leben in sie zurückkehrte.
»O Mason, mein Liebling. Ich habe dich vermisst. «
Er drückte sie als Antwort, und sie lachte unter Tränen und schluchzte vor Glück, während sie ihn in ihren Arme wiegte.
Er lebte. Er lebte und lag in ihren Armen. O gnadenreiche Mutter Gottes, ich danke dir, dachte Willa und benetzte sein verschmutztes Haar mit unzähligen Küssen. Über den Kopf des Kindes hinweg begegnete sie Raidens Blick. Er lächelte sie zärtlich an, in seinen Augen lag der helle Glanz ungeweinter Tränen. »Ich liebe dich.« Stumm formte ihr Mund unter dem Donnern der Kanonenstöße diese Worte.
»Ich weiß«, erwiderte er und beugte sich vor. »Es wärmt meine Seele, dich so glücklich zu sehen, meine Liebste.«
»O Raiden, all die Freuden, die du mir geschenkt hast«, sagte Willa und küsste ihn. Sie lösten sich voneinander, als Mason sich in ihren Armen auf die Seite wandte und zur Renegade hinüberschaute, aus deren Kanonen der Rauch aufstieg. Die Faszination in seinen Augen, das Staunen, als sein Blick den Schüssen der Renegade bis zu deren Aufschlagen auf der Insel folgte, sagte ihr, dass die Gefangenschaft weder seine kindliche Neugier noch seinen unschuldigen Geist zerstört hatte.
Das Langboot lag kaum längsseits der Renegade, als auch schon ein Fallreep heruntergelassen wurde. Während die Männer das Boot festmachten, übergab Willa ihren Sohn an Raiden und kletterte die Strickleiter hinauf. Mason wandte sich nach seiner Mutter um, aber Raiden steckte das Kind wie ein Stück Beute unter sein Hemd und folgte ihr rasch. Als er an Deck war und ihr Mason zurückgeben wollte, sah er, dass der Kopf des Jungen aus der Hemdbrust hervorlugte. Fast Nase an Nase mit Raiden starrte Mason ihn an. Den Kopf zur Seite geneigt, so wie seine Mutter es auch oft tat, sah der Junge Raiden mit offener Neugier ins Gesicht.
Raidens Lächeln machte Mason offensichtlich Angst, denn er zog sich hastig in das Hemd zurück und versteckte sich darin wie eine Schildkröte in ihrem Panzer vor einem Raubtier. Raiden sah Willa an, als er den Jungen aus dem Hemd schälte, der sich eng zusammengerollt an seine Brust presste und offenbar vergessen hatte, dass es immer noch Raiden war, der ihn hielt. Der Junge war erschreckend dünn und federleicht, und als Willa die Arme nach ihm ausstreckte und ihn beim Namen rief, warf er sich ihr in die Arme und klammerte sich an ihr fest. Sie strich ihm über den Kopf und sah Raiden fragend an.
»Geh mit Balthasar in die Kabine«, sagte er. »Ich werde nachkommen, sobald wir Fahrt aufgenommen haben.«
Sie nickte und sah zur Insel hinüber. Noch immer ließen die Kanonen das Deck erbeben, wenn sie zurückgerollt wurden, um neu geladen zu werden. Willas Blick ging zurück zu Raiden.
Die Entschlossenheit einer Mutter, die ihr Kind beschützt, brannte in ihren grünen Augen.
»Schick sie alle zur Hölle«, sagte sie, wandte sich ab und ging. Balthasar folgte ihr auf dem Fuße.
Sie schliefen zusammen in seinem großen Bett. Mason lag eng an den warmen Körper seiner Mutter geschmiegt, und in seiner kleinen Faust hielt er eine ihrer Locken umklammert. Es war ein Bild, das Raiden mit unglaublicher Freude und Erleichterung
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