Die Geliebte des Prinzen
der Tür stand Elena, die nette russische Haushälterin, die das zwanzigköpfige Personal souverän führte und fließend Englisch sprach. Doch Essen war das Letzte, worauf Grace jetzt Lust verspürte, und so lehnte sie dankend ab.
„Sie müssen aber etwas zu sich nehmen , sagt Prinz Maxim. Schon dem Baby zuliebe.“
„Er ist nicht mein Boss!“, brauste Grace auf, schämte sich aber sogleich für ihr kindisches Verhalten. „Entschuldigung, Elena.“ Nervös lief sie im Zimmer auf und ab. „Aber ich werde noch verrückt hier. Seit Tagen bin ich an dieses Haus gefesselt!“
„Es tut mir leid, dass Sie sich nicht wohlfühlen. Ich bin sicher, Ihre Hoheit der Prinz bedauert zutiefst, Sie allein lassen zu müssen. Er ist sehr beschäftigt.“
Frustriert schloss Grace die Augen. Oh, ja! Sie konnte sich lebhaft vorstellen, womit Maxim beschäftigt war.
Worauf wartete sie eigentlich? Dass er sich wieder in den Mann verwandelte, den sie geliebt hatte? Dass er sich wie ein netter, rücksichtsvoller Ehemann verhielt?
Kurz entschlossen holte sie ein Paar enge schwarze Jeans und einen schwarzen Kaschmirpulli aus ihrem Kleiderschrank, die sie bei Leighton in der Tverskaya-Straße gekauft hatte. „Ich komme mit zum Roten Platz.“
Elena wirkte beunruhigt. „Sind Wladimir und Igor einverstanden?“
Grace dachte gar nicht daran, die beiden überfürsorglichen Bodyguards auf ihren Ausflug mitzunehmen. „Nein. Ich fahre mit Ihnen zusammen in der Bahn.“
„Aber Prinzessin! Man wird mich entlassen …“
„Bitte, Elena! Ich möchte doch nur ein paar Stunden an die frische Luft, ohne dass mich zwei Muskelmänner auf Schritt und Tritt bewachen.“
„Sie kennen sich in der Stadt nicht aus. Und Sie sprechen kein Wort Russisch“, wandte die ältere Frau besorgt ein.
„Ein Wort kenne ich. Njet. Und das ist meine Antwort an Maxim“, sagte Grace grimmig, während sie ihr Haar zum Pferdeschwanz band. „ Diese Prinzessin wird ein normales Leben führen. Ich bin seine Ehefrau, aber nicht sein Eigentum.“
Sie zog ihren Mantel an und setzte eine Mütze auf. Dann öffnete sie das Fenster. Wenn es ihr gelang, sich zu einem Ast hinüberzuhangeln …
„Schon gut“, stöhnte Elena. „Ich nehme Sie mit. Aber laufen Sie mir nicht davon.“
Grace war zu Tränen gerührt. „Vielen Dank! Ich erzähle auch Maxim nichts davon“, versprach sie.
„Er wird es ohnehin erfahren“, meinte die Haushälterin düster, setzte aber grummelnd hinzu: „Lässt seine junge Braut am Neujahrsabend allein … also wirklich!“
Ungeduldig trat Grace in ihren schwarzen Stiefeln von einem Fuß auf den anderen. Sie konnte es kaum erwarten, ihrem Luxusgefängnis zu entfliehen. Ihrem goldenen Käfig, ihrer Einsamkeit – und dem beklemmenden Gefühl, zum zweiten Mal an einen Mann gebunden zu sein, der Lady Francesca Danvers liebte.
Es schien ihr Schicksal zu sein, jeden Mann, der ihr etwas bedeutete, an diese Frau zu verlieren.
Der quälende Gedanke verfolgte sie noch, als sie eine gute Stunde später die Innenstadt erreichten. Sie ließen sich mit der Menge treiben, die durch das Auferstehungstor auf den Roten Platz strömte.
Der Anblick der farbenprächtigen Zwiebeltürme der Basilius-Kathedrale verschlug Grace den Atem. Sie stand ganz still inmitten der wogenden Massen, drehte sich langsam im Kreis, betrachtete staunend den Kreml, Lenins Grabmal und die roten Häuser ringsum. Schon als Kind hatte sie davon geträumt, dies alles eines Tages mit eigenen Augen zu sehen.
Der ganze Platz erstrahlte in festlichem Lichterglanz. Ein Meer von Menschen hatte sich hier versammelt. Es war alles noch tausendmal schöner und faszinierender, als Grace es sich vorgestellt hatte. Einen Moment lang vergaß sie darüber sogar ihren Kummer.
Dann sah sie, wie sich in ihrer Nähe ein Pärchen herzlich umarmte und küsste. Die beiden jungen Leute lachen und schmusen zu sehen brachte ihr ihre eigene Einsamkeit umso schmerzlicher zu Bewusstsein. Sie drehte sich nach Elena um, aber die ältere Frau war nicht mehr da. Grace musste sie in der Menge verloren haben.
Nur die Ruhe bewahren, sagte sie sich. Im weißen Dunst ihres eigenen Atems, die Hände in den Manteltaschen vergraben, sah sie sich suchend um. Sie war so allein, und es war so bitterkalt! Ob der Winter hier jemals ein Ende nahm?
Da fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter und fuhr herum.
Es war … Maxim! Und als er so vor ihr stand, groß und dunkel wie die Nacht in seinem langen schwarzen Mantel,
Weitere Kostenlose Bücher