Die Geliebte des Rebellen
als gleich darauf Dunstan neben AnnaClaire Platz nahm, atmete der alte Lord erleichtert auf. Doch obwohl Lynley sich zuvorkommend und freundlich gab, hatte Lord Davis insgeheim die Befürchtung, dass AnnaClaire sich am Fluss zu viel erlaubt hatte.
Hoffentlich machte sie sich Lord Dunstan nicht zum Feind.
Erleichtert lief AnnaClaire die Treppe zu ihren Gemächern hinauf. Sie fühlte sich wie von einer großen Last befreit, nachdem sie sich von Lord Dunstan verabschiedet hatte. Mit einem erwartungsvollen Lächeln öffnete sie schwungvoll die Tür zu ihrem Schlafgemach.
“Glinna, was machst du denn hier?”
Erschrocken wirbelte die Zofe herum. “Mylady, Verzeihung, ich habe Eure Kleider aufgehängt.” Sie schaute sich verstohlen in dem Raum um und wich dann zur Tür zurück. “Soll ich noch bleiben und Euch beim Ausziehen helfen?”
“Das ist nicht nötig. Gute Nacht, Glinna.” AnnaClaire lauschte. Glinna schien es sehr eilig zu haben. Wahrscheinlich war sie mit einem der Stallburschen verabredet und konnte es gar nicht abwarten, zu ihm zu gelangen.
AnnaClaire verübelte es dem Mädchen nicht. War sie selbst nicht auch voller Ungeduld? Sie wollte doch auch so schnell wie möglich zu dem, der in der Kammer auf dem Dachboden auf sie wartete.
Sie durchschritt den Raum und blieb plötzlich wie erstarrt stehen.
Die Tür zu der Stiege, die auf den Dachboden führte, war nur angelehnt. Doch AnnaClaire wusste ganz genau, dass sie sie am Morgen geschlossen hatte.
“Oh nein.” Sie presste die Hand an die Lippen, um einen Schreckenslaut zu unterdrücken. Wenn Glinna das Geheimnis entdeckt hatte, war Rory in höchster Lebensgefahr. Und die, die ihm in Clay Court geholfen hatten, ebenfalls. Es war allgemein bekannt, dass Glinna kein Geheimnis hüten konnte. Und wenn sie auch nur einem einzigen ihrer Freunde von Rory erzählt hatte, wüsste innerhalb von Stunden ganz Dublin von seinem Versteck.
AnnaClaire hastete die Treppen hinunter und rief nach ihrer Zofe. In der Küche traf sie auf Bridget und Tavis. “Habt ihr Glinna gesehen?” wollte sie atemlos und mit allen Anzeichen heller Aufregung wissen.
“Ja, Mylady. Gerade vor einigen Augenblicken ist sie nach draußen gerannt, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her.”
“Grundgütiger Himmel!” AnnaClaire machte auf dem Absatz kehrt und lief wieder zurück nach oben. Das Haushälterehepaar sah kopfschüttelnd hinter ihr her.
Rory O’Neil musste auf der Stelle das Haus verlassen! Denn wenn AnnaClaires Befürchtungen tatsächlich eintraten, war sein Leben in Clay Court keinen Pfifferling mehr wert!
8. KAPITEL
“Rory! Rory O’Neil!”
Atemlos stieß AnnaClaire die Tür zu der Kammer auf dem Dachboden auf und sah sogleich, dass Rory nicht in seinem Bett lag. Vielmehr stand er halb im Schatten an einer Wand, barfuß und mit bloßem Oberkörper. Er trug lediglich die Kniehosen, die AnnaClaire ihm zur Verfügung gestellt hatte.
Als er sich ihr jetzt zuwandte, war sie fast überwältigt von seiner unbändigen Kraft. Dies hatte nicht nur mit den breiten Schultern oder dem Spiel der Muskeln zu tun. Vielmehr schien er umgeben von einer Aura, deren Wirkung sich AnnaClaire nicht entziehen konnte.
“Ihr müsst noch in dieser Minute Clay Court verlassen!”, rief sie eindringlich.
Mit zwei langen Schritten war er bei ihr und packte sie bei den Schultern. “Was ist passiert, AnnaClaire? Warum seid Ihr so aufgeregt?”
“Meine Zofe, Glinna …” AnnaClaire vermochte kaum zu sprechen und zwang sich, mehrmals tief durchzuatmen. “Sie war in meinem Schlafgemach, als ich von dem Ausflug zurückkehrte. Die Tür zur Treppe war nur angelehnt, obwohl ich sie geschlossen hatte. Ist jemand hier nach oben gekommen, während ich außer Haus war?”
Rory kniff nachdenklich die Augen zusammen. “Ich habe fast die ganze Zeit geschlafen, bin immer nur zwischendurch mal kurz wach gewesen. Aber ich dachte …”
“Was?”
“Ich glaubte, irgendwann Schritte gehört zu haben. Doch dann hielt ich es für eine Einbildung.”
AnnaClaire lief unruhig hin und her. “Wenn Glinna Vermutungen hat, was Euch betrifft, wird sie diese sehr bald an andere weitergeben. Hier seid Ihr nicht mehr sicher. Ich werde sofort Tavis beauftragen, Pferd und Karren für Euch bereitzuhalten.”
“Nein.” Er hielt sie am Arm fest. “Ich darf nichts tun, was die Engländer dazu bringen könnte, eine freundschaftliche Verbindung zwischen Eurem Haus und mir herzustellen.” Leise fügte er hinzu:
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