Die Geliebte des Rebellen
Schritten zur Tür. Ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, ging er hinaus. Es hätte ihm das Herz gebrochen, AnnaClaire dort so liegen zu lassen, und seinen Entschluss womöglich ins Wanken gebracht.
Als er die Tür hinter sich zuzog, quollen unter AnnaClaires fest zusammengepressten Augenlidern heiße Tränen hervor und liefen ihr über die Wangen. Sosehr sie sich auch drehte und wand und mit den Beinen strampelte, sie schaffte es nicht, sich zu befreien. Sie kam sich vor wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde.
Aber nicht sie war das Lamm, sondern Rory. Als ihr diese bittere Tatsache bewusst wurde, flossen die Tränen immer heftiger. Der Gedanke an das, was Rory bevorstand, war mehr, als AnnaClaire ertragen konnte.
16. KAPITEL
Innis hatte wieder einmal den seit zwei Jahren stets gleich bleibenden Albtraum. Darin trug er seine feinsten und besten Sachen und ging mit seiner Familie über das Feld. Vor ihnen ragte der Croagh Patrick auf. Er glänzte im Sonnenlicht wie Gold. In den frühen Morgenstunden dieses Tages hatte es geregnet, doch jetzt strahlte die Sonne vom fast wolkenlosen blauen Himmel.
Innis’ Tante Caitlin, die jüngste Schwester seines Vaters, war umringt von ihren Familienangehörigen, von denen jeder glücklich lächelte. Denn Caitlin war auf dem Weg zu ihrer Hochzeit mit Rory O’Neil, und sie alle begleiteten sie dorthin.
Manche saßen hoch zu Ross, manche in einfachen Wagen und Karren, doch die meisten waren zu Fuß unterwegs. Die Menschen unterhielten sich, hier und da rief ein Kind, und irgendjemand sang mit heller, klarer Stimme. Nur so war es wohl zu erklären, dass zunächst niemand die Pferde hörte.
Plötzlich stieß jemand einen Entsetzensschrei aus. Die Menge hielt inne, wandte sich um und sah sich den englischen Angreifern gegenüber. Diese hatten sich so verteilt, dass kein einziges ihrer Opfer Gelegenheit hatte, sich in dem nahe liegenden Wald in Sicherheit zu bringen.
Die Soldaten nahmen sich die Männer und Knaben als Erstes vor, sodass die Frauen und Kinder schutz- und wehrlos waren.
Innis sah, wie sein Vater das Schwert aus der Scheide zog, als ihn einer der Reiter angriff. Es gelang ihm, den Mann vom Pferd zu holen. Doch bevor er ihn kampfunfähig machen konnte, wurde Innis’ Vater von einem weiteren Engländer attackiert, der ihm das Schwert aus der Hand schlug und ihn mit einem fürchterlichen Hieb niederstreckte.
Im Fallen riss er Innis mit sich und begrub ihn unter sich. “Beweg dich nicht”, flüsterte er mit letzter Kraft. “Nur wenn sie dich für tot halten, kannst du überleben.” Das waren die letzten Worte, die Innis aus dem Mund seines Vaters hörte. Sekunden später starb dieser.
Seitdem vernahm Innis diese Worte beinahe jede Nacht, wenn der Albtraum ihn wieder heimsuchte. Er war damals gezwungen gewesen, unter dem Körper seines toten Vaters auszuharren und das ganze Grauen zu erleben und seine eigene Ohnmacht auszuhalten.
Er hatte die furchtbaren Schreie gehört, als die Soldaten die Mädchen und Frauen erst schändeten und dann umbrachten. Er hatte mit ansehen müssen, was die Engländer seiner wunderschönen Mutter und der bildhübschen Braut antaten.
Innis wurde von seinem eigenen Schrei wach und setzte sich auf. Er ballte die Hände zu Fäusten. Wie er diese Träume hasste! Wie er das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit verabscheute!
Er lauschte in die Nacht. Irgendwo, ganz in seiner Nähe, ertönte ein dumpfer Laut. Innis stand auf, um die Ursache dafür herauszufinden. Er hatte keine Angst. Nach allem, was er erlebt hatte, würde ihm nichts mehr Furcht einjagen. Bis auf die Nacht und ihre Schrecken.
Er nahm eine flackernde Kerze aus ihrer Wandhalterung, ging aus seiner Kammer und schlich sich langsam und aufmerksam den Gang entlang. Vor der Tür zu AnnaClaires Schlafgemach blieb er lauschend stehen.
Da war es wieder, das Geräusch! Diesmal etwas lauter als zuvor. Er klopfte an. Wie zur Antwort erklang abermals das dumpfe Geräusch. Entschlossen stieß Innis die Tür auf und blickte fassungslos auf das Bild, das sich ihm bot.
AnnaClaire lag auf dem Fußboden inmitten eines Knäuels von Betttüchern und Decken. Mit den Füßen stieß sie unablässig gegen die Wand.
“Engländerin!” Innis eilte an ihre Seite und sah, dass sie sowohl gefesselt als auch geknebelt worden war. Er stellte die Kerze in einen Halter und beeilte sich, AnnaClaire von ihren Fesseln zu befreien.
“Wer hat Euch so etwas Schreckliches angetan?” wollte er
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