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Die Geliebte des Sonnenkönigs (German Edition)

Die Geliebte des Sonnenkönigs (German Edition)

Titel: Die Geliebte des Sonnenkönigs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dora Duncker
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graben.
    Eine untersetzte, stark beleibte Frau um das Ende der vierzig, im grauen Kapuzenmantel, der sich an einer Seite bauschte, trieb den Schieler zu immer größerer Eile an. Ihre kleinen, lebhaften Augen folgten mit tückischem Ausdruck jeder Bewegung des jungen Menschen.
    „Stell' dich nicht so ungeschickt an, Jean — vor Abendläuten muss der Kleine unter der Erde sein. Genug — rasch — lass die Leiche herunter.”
    Die Voisin streifte eine Schnur von ihrem Kleid, zog einen kleinen Knabenleichnam unter dem Mantel hervor und band die Schnur dem Neugeborenen um den gestreckten starren Leib. Dann händigte sie dem Schieler die Schnur ein, während sie abgewendet das Kreuz schlug. Als die Voisin sich wieder umwandte, war die kleine Leiche schon in der Tiefe des Grabes verschwunden.
    „Gut — rasch Erde darüber.”
    Draußen auf dem holprigen Wege wurden Tritte und Stimmen laut.
    „Verflucht!”
    Sie verdeckte das Grab mit ihrem breiten Rücken.
    „Mach' zu!”
    Der Schrecken der Voisin war umsonst gewesen. Es war weder die Polizei noch sonst ein Unberufener, der sich nahte, sondern Monsieur Pierre und Monsieur Gaston, die beiden Helfershelfer der Voisin. Sie waren die Vertreter der Mitinhaber des Voisinschen Geschäfts, des Predigers Le Sage — mit dem die Voisin eine ungemein warme Freundschaft verband — und der Dame Vigoureux. Pierre und Gaston kamen aus Paris zurück, wo sie Einkäufe in den Drogerien und Apotheken gemacht und allerlei Neuigkeiten erfahren hatten.
    „Wir haben auch deinen ehrenwerten Gatten auf dem Pont Marie getroffen. Seine Juwelen scheinen eben keinen glänzenden Absatz zu finden.”
    „Er wird die Bude bald schließen müssen”, meinte Pierre auf dem Wege zur Hütte, deren Tür offen stand, um die giftigen Gase herauszulassen, mit denen der verräucherte Raum ganz erfüllt war.
    Der Voisin tückische kleine Augen glänzten.
    „Wir können es umso besser aushalten. Ich habe heute meine Bücher durchgerechnet, liebe Freunde. Wisst ihr, wie hoch sich die vorjährige Einnahme belief? Auf 70.000 Francs. Im nächsten Jahr hoffe ich auf das Doppelte und Dreifache zu kommen. Wie ist's, habt ihr die Dame — ihr wisst schon — in ihrem Palais angetroffen?”
    Gaston schüttelte den Kopf.
    „Sie ist mit ihren Kindern auf dem Lande.”
    „Macht nichts. Sie kommt mir schon noch. Sie hat recht zu warten. Die Saat ist noch nicht reif — der König wacht zu gut.”
    Sie legte den dicken Zeigefinger auf den Mund.
    Die beiden Männer sahen die Frau bewundernd an. Wahrhaftig, sie wusste schon wieder, um was es sich handelte, obwohl sie die in Frage kommende Dame bisher weder gesehen noch gesprochen hatte. Die Voisin lächelte geschmeichelt.
    „Tränke brauen und Giftpulver mischen können andere auch. Augen und Ohren offen halten, darauf kommt's an! Übrigens”, fügte sie herablassend hinzu, „unsere Agenten und Spione arbeiten ganz ordentlich, Le Sage ist ungemein zufrieden.”
    Dann, noch immer in der Tür stehend, nahm die Voisin die beiden Männer in ein Kreuz- und Querverhör. Gaston kündigte den Besuch eines hohen geistlichen Würdenträgers, Pierre zwei vornehme Damen für den kommenden Tag an. Der Abbé, ein sehr gelehrter Mann, wollte aus den Linien seiner Hand die Zukunft geweissagt haben. Die Voisin wusste, dass er in eine etwas zweifelhafte Liebesaffäre verwickelt war. Das genügte ihr.
    Von den beiden Damen wünschte die eine, deren Jugend und Schönheit im Schwinden war, kosmetisch behandelt zu werden, die andere kam in geheimer Mission, die sie nur der Voisin selbst unter vier Augen anvertrauen wollte. Die Wahrsagerin lächelte zynisch.
    „Sie wird Sehnsucht nach einem neuen Hochzeitsbett haben.”
    „Die Dame, die ich nur unter der Maske sah, befand sich in hochschwangerem Zustand.”
    „Der richtige Zeitpunkt. Zu welchem Termin taxierst du die Geburt, Pierre?”
    „Ohne Geburtshelfer oder Hebamme zu sein, in ein bis zwei Wochen.”
    „Umso besser. Die schwarze Messe braucht Futter. Den kleinen unehelichen Sohn der Marquise haben wir soeben begraben. Der Handel ist glatt. Die Mutter hat ihre fünfzig Louisdor gezahlt. Das Kind hat den ewigen Frieden.”
    „Hat auch alles seine Ordnung gehabt?”, fragte Gaston, der sehr frommen Gemütes war, ängstlich.
    Die Voisin lachte niederträchtig auf, dann bekreuzigte sie sich und sagte salbungsvoll, die Augen gegen den Giebel der Hütte aufgeschlagen:
    „Ihr wisst, ich gebe dem Himmel, was des Himmels ist. Das Kind

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