Die Geliebte des Sonnenkönigs (German Edition)
Fensterseite zu. Gaston legte den Finger auf den Mund. Dann schlich er auf Zehen ans Fenster und blickte ängstlich hinaus. Nach einer Weile sah er sich um, weniger vorsichtig in Stimme und Bewegung.
„Vornehmer Besuch, Madame Voisin. Eine Dame und ein Herr. Die Kalesche haben sie drüben an der Ecke des Walles halten lassen.”
Die Voisin nickte nur und schloss das Laboratorium. Dann nahm sie die Töpfe vom Herd und öffnete das Fenster, um die üblen Gerüche nach Möglichkeit hinauszulassen.
Sie schloss selbst die Tür für die neue Klientel auf. Als sie die Gräfin Soissons erkannte, wusste sie, dass es eigentlich keine neue Kundschaft war. Niemand war so gut darüber orientiert als die Voisin, wie lange die schwarze Olympia diesen Besuch bei ihr schon erwogen hatte!
Die Alchimistin stellte sich völlig unwissend und fragte auch nach keinem Namen, da man ihr keinen nannte. Es war nicht vonnöten. Sie kannte den vor Jahren treulos gewordenen königlichen Liebhaber und alle Enttäuschungen der Gräfin ebenso gut wie diese selbst.
„Womit kann ich den Herrschaften dienen?”, fragte sie, die Soissons und Vardes in den dunklen rußigen Raum einlassend.
„Wünscht die Dame einen Liebestrank? Soll ich dem Herrn aus den Linien seiner Hand die Zukunft prophezeien?”
Olympia machte eine ungeduldige Bewegung.
„Es handelt sich um Gift!”
Die Voisin kniff vergnügt die tückischen Augen ein. „Um ein schnell oder ein langsam wirkendes?”
„Um ein sicheres in jedem Fall!”
„Die Dame darf überzeugt sein, dass sie gut bedient sein wird. Wird ein mineralisches, ein Pflanzengift oder ein animalisches Gift bevorzugt?”
„Ich kann mich darüber nicht äußern. Ich bitte um Ihre Vorschläge.”
Die Voisin sann einen Augenblick nach. Da sie ganz genau wusste, für wen das Gift bestimmt war, konnte sie ihre Ratschläge präzis geben, ohne erst viele Fragen stellen zu müssen.
„Als vegetarisches Gift würde ich ,solanum manikum' vorschlagen, absolut tödlich! Es hinterlässt einen milchigen Geschmack im Mund, verursacht fortdauerndes Schluchzen, Blutspucken, schleimigen Stuhlgang. Bei einer Drachme treten heitere Fantasien, bei dreien Tollwut, bei vieren der Tod ein.”
Olympia sah fragend zu Vardes um, der hinter ihrem Stuhl stand. Er hielt das Haupt abgewendet, seine Hände zitterten. Sie zuckte verächtlich die Schultern und herrschte: „Weiter!”
„Von tierischen Giften wäre Kantharidenpulver zu bevorzugen.”
Die Voisin setzte ihre unschuldigste Miene auf.
„In mäßigen Dosen genossen, feuert es den Liebeseifer des Mannes an.”
„Darum handelt sich's nicht. Wie verhält es sich mit der tödlichen Wirkung?”
„Qualvolle Magen- und Leberbeschwerden. Heftiges Fieber mit Delirien. Bei der Frau schmerzhafte Entzündungen aller Geschlechtsteile und der Blase. Der Harn fließt nur blutig oder gar nicht ab und führt somit den Tod herbei, einen außerordentlich qualvollen Tod.”
Olympia nickte beifällig.
„Bewährte Gegengifte sind — ”
Die Soissons erhob abwehrend die Hand. Die tückischen kleinen Augen der Voisin lachten verschmitzt.
„Es können Verhältnisse eintreten, bei denen man ein Gegengift um alles gern bei der Hand hätte. — Ich habe — besonders wo es sich um hochgestellte Persönlichkeiten handelt — Fälle erlebt — ”
Vardes hatte sich hinter dem Stuhl Olympias herumgeschlichen und suchte die Tür zu erreichen. Herrisch rief Olympia ihn an.
„Sie bleiben, Marquis.”
Wie ein geprügelter Hund kehrte er an seinen Platz zurück.
Die Voisin, der alles dies nichts Neues war, sprach ruhig fort: „Brechmittel, Milch, Olivenöl, Theriak, Einspritzungen in die Harngänge haben sich bei Kantharidenpulververgiftung stets als zuverlässige Gegengifte bewährt.”
„Hätten Sie noch andere Vorschläge, Madame Voisin?”
„Wenn Sie vergiftete Wäsche vorziehen, Madame? — Ich bedürfte dazu am besten eines Hemdes der betreffenden Person. Ganz in Arsenik getränkt, bringt es zuerst einen Ausschlag hervor, bedeckt den Körper dann mit Giftgeschwüren —”
Die Soissons winkte ab.
„Bleiben wir bei dem Kantharidenpulver. Man kann es jeder Speise beimischen, ohne dass es herausgeschmeckt wird?”
„Zuverlässig! Taubenpastete zum Beispiel ist ein Gericht, in dem sich das tödliche Gift besonders angenehm verarbeitet.”
Die Soissons nickte zustimmend. Dann stand sie auf und hielt ihren parfümierten Pelz vor Mund und Nase.
„Sie haben nicht eben die beste
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