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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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unverständliches Kauderwelsch und lehnten mit ihren schmalen Hosen und den Lederblousons lässig an den Billardtischen.
    Ricky hatte es nicht glauben können, als Steve ihr das oberste Stockwerk des zentralen Flughafengebäudes gezeigt hatte: Überall gab es kleine Kneipen und Bars, dazwischen, locker eingereiht, Räume mit Sportgeräten, Billardtische und Zielscheiben, auf die mit Pfeilen geworfen wurde.
Dart
hieß das und wurde nach Wettkampfregeln ausgetragen. Auch die Nationalsozialisten hatten die obere Etage repräsentativen Zwecken vorbehalten – aber aus ihrem Pomp machten die Amerikaner Praktisches, mit ihrem Bombast gingen sie selbstironisch um. Hitlers großer Ballsaal, in dem ausgewählte Paare Walzer zu den Starts und Landungen der Bomber tanzen sollten, war eine Baustelle: Rücksichtslos hatten die Amerikaner das Parkett herausgerissen und waren nun dabei, einen Schwingboden einzubauen: Hier sollte in Zukunft Basketball gespielt werden. Immer, wenn sie mit Steve hierherkam, lud er sie in einer anderen Bar zum Essen ein. Zur Rollfeldseite hin öffneten am späteren Abend die Tanzlokale – hier allerdings gab es keine deutschen Mädchen, sondern nur die amerikanischen Zivilangestellten wie Lucy, Krankenschwestern und Funkerinnen. Frauen, wie Ricky sie bisher noch nicht gekannt hatte – adrett, pragmatisch und von einer geradezu überwältigenden Offenheit. Eingeschüchtert hielt sich Ricky an Steve.
    Wie anders war es, mit Steve durch Berlin zu spazieren, als mit Chet. Mit Chet trieb sie sich herum, mit Steve ging sie aus. Mit Chet wurde jeder Spaziergang zu einem Abenteuer, Steve gab ihr das Gefühl, dass riskante Situationen überhaupt |203| nicht existierten oder dass man sie einfach irgendwie
managen
musste. Steve und seine Wörter! Sie versuchte, Chet und Steve ein paar von den neuen Vokabeln zuzuordnen, die sie gerade gelernt hatte. Als sie Chet einmal gefragt hatte, ob sie seine Unterkunft sehen könnte, hatte er gesagt:
It’s a problem. Problem
gehörte zu Chet,
challenge
zu Steve.
Passion
zu Chet,
fun
zu Steve.
Water
war Chet,
sailing, surfing
. Sie vermisste Chet, als wäre er schon gegangen. Sie sammelte seine Wörter wie andere Fotos sammeln. Die Wörter waren ihre Erinnerungsstücke, Fotos besaß sie nur wenige. Eines zeigte sie beide zusammen auf dem Jollenkreuzer: Chet mit bloßem Oberkörper konzentriert an der Pinne, sie in einer weißen Bluse, mit einer dunklen Sonnenbrille vor den Augen.
    Sie vermisste ihn, wie man den Sommer vermisst, selbst, wenn es ein merkwürdiger Sommer gewesen war, ein kurzer Sommer, ein Sommer mit plötzlichen Regengüssen und einer abrupten, heftigen Hitzeperiode. Sie vermisste Chets merkwürdige Launen und seine plötzliche Zurückgezogenheit. Seine kindliche Freude, wenn sie ihm ein Geschenk machte, und seinen Lerneifer in der Liebe. Wie er sich, seit sie darauf bestanden hatte, ein Kondom überstreifen ließ und dazu ein Gesicht schnitt wie ein kleiner Junge, dem man die verhasste Wollmütze aufsetzt. Und wie er dann lachte, wenn sie beide das verdammte Ding hinterher suchen mussten. Nie wieder würde sie Kirschen essen können, ohne an Chettie zu denken. Nie wieder in einer Kirche sein. Nahm sie denn schon Abschied? Manchmal erschrak Ricky über sich selbst, dann überschüttete sie den verdutzten Chet zur Begrüßung mit Küssen, und es war ihr egal, dass die Leute schimpften.
    Einmal waren sie noch zusammen ausgegangen. Verabredet, wie ein ganz normales Paar. Ricky fiel auf, dass Chet kaum größer war als sie selbst, vielleicht nicht einmal gleich |204| groß. Wenn sie von ihm träumte, war er ihr gewachsen. In ihren Träumen machte sie ihn größer, als er war. Seltsam: Er war genauso aufgeregt wie sie. Aufgeregter noch. Undenkbar wäre das mit Steve, der ihr immerzu den Eindruck vermittelte, alles im Griff zu haben. Chet und Ricky machten sich auf zum Schloss – zu dem, was die Bombenangriffe übriggelassen hatten vom Schloss. Vor dem ausgebrannten Gerippe der Kuppel hatte die
Camilla-Mayer-Hochseil-Truppe
ihre Seile gespannt. Unter dem Seil wölbte sich ein Netz, das bedenklich schwankte und das kaum die Illusion von Sicherheit vermittelte, und oben auf den Türmen, die das Seil rechts und links hielten, wurden in fünfzehn Metern Höhe die Plattformen für die Seiltänzer eingerichtet. Zehn Akrobaten, fünf Männer und fünf Frauen, überprüften ein letztes und ein allerletztes Mal den Zustand der Anlage, dann verrutschte ein Tusch von einer

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