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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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antreten musste, und Charlie, der erste Geiger, war gehörig ins Schwitzen geraten, weil er das Solo aus
Porgy and Bess
einstudieren musste – ausgerechnet, um es vor einem der berühmtesten Violinisten der Welt zu präsentieren. An dem Tag hatte es geschüttet wie aus Eimern. Weil das Flugzeug aus Frankfurt Verspätung hatte, durften sie sich ausnahmsweise in der Abfertigungshalle unterstellen, um zu warten. Die Abfertigungshalle! Sie war noch immer zur Rollfeldseite hin offen, Hitlers Bauleute hatten es nicht mehr geschafft, die riesige Glasfront einzubauen, die den Fluggästen freie Sicht gewähren sollte. Jetzt klaffte die offene Seite wie ein riesiges Maul, das gefräßig alle ankommenden Maschinen verschluckte.
    Sie bekamen ja auch wirklich nie genug vom Flugverkehr, die Berliner, die allerdings noch immer keinen Zutritt zum Flughafengelände hatten und deshalb als Schaulustige am Zaun standen. Immer warteten dort die Menschen auf die Maschinen aus Frankfurt oder München oder sogar aus Übersee, und das erste, was die Passagiere zu sehen bekamen, war, dass sie mitten in der Stadt landeten – und dass die Bewohner dieser Stadt sie mit der immer gleichen Begeisterung begrüßten. |210| So lange waren sie von allem abgeschnitten gewesen, jetzt wollten sie alles nachholen: den modernen Verkehr, die neuen Maschinen, den Geruch der
großen, weiten Welt
.
    Yehudi Menuhin, der berühmte Geiger, hatte den Wirbel mit Fassung getragen. Er hatte die Army Band begrüßt, ein paar Worte gesagt, und Chet hatte unter dem schwarzen Regenschirm ein freundliches, eher weiches Gesicht erkennen können. Menuhin lächelte und ließ sich mit der Army Band fotografieren. Sein Lächeln war entgegenkommend, aber auch ein wenig distanziert. So, als hätte der ganze Rummel nichts mit seiner Person zu tun. Er nahm ihn hin, aber er ließ ihn nicht an sich heran. Für die Berliner war der jüdische Musiker wie ein Erlöser. Das hatte Chet jedoch erst gemerkt, als er die Titelseiten der Zeitungen an den Kiosken sah. Menuhin spielte mit den Philharmonikern, im Titania-Palast, und jetzt diskutierten die Caféhausbesucher im
Paulus
, ob er es damit Wilhelm Furtwängler, dem Dirigenten des Orchesters, nicht zu leicht machte.
    Persilschein
, noch so ein Wort, das Chet in seinen letzten Wochen in Deutschland aufschnappte, es war das Wort, das die Leute benutzten, wenn sie von
Entnazifizierung
sprachen, das eine Wort so kompliziert wie das andere, alle redeten darüber, aber was es bedeutete, darüber waren alle höchst unterschiedlicher Meinung. Chet hatte einmal eine Liste mit deutschen Wörtern angefangen, so, wie Ricky englische Vokabeln auswendig lernte:
Fraternisieren, hübsch, organisieren, plemplem, verboten, Stulle.
Chet flüsterte die Begriffe vor sich hin. Er wusste nicht genau, wo man sie betonte, oder er hatte es vergessen. Also gab er ihnen seinen eigenen Rhythmus, seine eigene Wortmelodie. Er verlor sich in seinen Silbenträumereien. Dann wurde die Musik besser. Es war in Ordnung, mit guter Musik im Ohr zu gehen. Er legte ein paar Münzen auf den Tisch. Draußen war es schon dämmrig und sehr feucht. |211| Chet schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Eine Katze strich um seine Beine, als er sich eine Zigarette anzündete. Chet erschrak, dann freute er sich: Es liefen wieder Katzen herum. Ein gutes Zeichen.
     
    Renate schickte Ansichtskarten aus Murnau. Sie hatte ein Kreuz auf jene Stelle im Dorf gemalt, wo sie ungefähr wohnte. Sie war glücklich, schrieb sie, und sie lud alle ein zu kommen. Sie beschrieb in zwei, drei Sätzen die neue Umgebung. Glücklich! Das war ein Wort, das beinahe ausgestorben war. Ricky erschrak: Hatte sie es Chet beigebracht? Bestimmt nicht! Sie selbst freilich wusste
happy.
Und
sunshine
. Das war überhaupt nicht dasselbe, hing aber irgendwie zusammen – und beides hatte unweigerlich mit Kalifornien zu tun. Kalifornien war nicht das Amerika, das sie nun gelegentlich im Kino sah, das war das Amerika, das zu Chet gehörte. Ein Land für Schwimmer, Wellenreiter, Träumer. Ein Jungenland.
    Sie war immer sicherer, dass dort kein Platz für sie wäre. Nicht mit Chettie. Jede Woche kam Post von Renate. Ricky drehte die Karten hin und her. Sie kamen ihr vor wie übergroße Spielkarten. So bunt. So unwirklich. Sie bildeten das eine ab, bedeuteten aber das andere. Eine Kirche – hier fielen keine Bomben. Ein Haus – hier kannst du sicher wohnen. Eine Wiese – hier kannst du vergessen. Ein Marktplatz – hier

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