Die Geliebte des Trompeters
Er wollte
German Schnaps
. Und er wollte Mädchen. Dick war erfreut. Solche Wünsche waren für Dick kein Problem.
|207| Im Oktober fand Irmgard eine neue Wohnung für ihren Mann. Nachdem sie Renate verloren hatte, hielt sie es nicht länger aus mit ihm. Nicht, dass sie ihm die Schuld gegeben hätte. Der Mann war nicht schuld. Sie allein war verantwortlich. Und nicht, weil sie Siegfried zurückgeholt hatte. Das war ein Fehler gewesen, aber nicht schuldhaft. Sie hatte den Fehler vielmehr begangen, um ihre Schuld wiedergutzumachen, sie hatte gedacht, dass das möglich wäre oder dass der Verrat, den sie an ihren Töchtern begangen hatte, auf diese Weise gesühnt werden konnte. Gesühnt! Lauter katholisches Zeug dachte sie, dabei war Siegfried katholisch, nicht sie, krauses Zeug hatte sie im Hirn neuerdings, sie kriegte ihren berühmten kühlen Kopf nicht mehr klar. Eigentlich seit jenem Tag nicht mehr. Seit jener einen fatalen Entscheidung.
Es nützte nichts, dass Marie sie tröstete. Dass Marie sie verstand. Dass Marie sich von ihr und von Siegfried abwechselnd beschimpfen ließ, wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen. Marie hatte es ja am schwersten, dachte Irmgard und konnte doch nichts tun. Gar nichts mehr konnte sie tun, sie war verurteilt zuzuschauen seit jenem Tag, seit jener einen verhängnisvollen Entscheidung. Und Marie, die spürte, dass etwas nicht mehr gutzumachen war, Marie, die früher immer so fröhlich gewesen war und so lebendig, wurde bleich und schmal und krank und verzagt. Eines Tages ging auch sie fort.
Und dann setzte der Regen ein. Nicht kalt, aber unaufhörlich. Verdüsterte die Tage und machte Private Chesney Henry Baker den Abschied leicht. Der Sommer war gut gewesen. Gut, aber zu kurz. Zu kurz für einen, der es liebte, sich acht Monate im Jahr bedenkenlos in die Wellen des Pazifiks zu stürzen. Zu kurz für einen, der daran gewöhnt war, dass er geblendet |208| wurde vom Licht, sobald er morgens aus dem Haus trat.
Schon Ende September kehrte die große Trübnis nach Berlin zurück. Der Himmel ergraute von einem Tag auf den anderen. Die Farben hatten sich plötzlich verbraucht. Der Himmel gähnte und wurde weißlich und flach. Die Konturen verschwammen, die Dinge wurden undeutlich. Manchmal rieb Chet sich die Augen, weil er dachte, er hätte womöglich zu lang in die verdammten Noten gestarrt, aber das war es nicht. Im Winter war Chet gekommen, und der Winter würde nun bald zurückkehren. Chet begann, sich vor dem ersten Kälteeinbruch zu fürchten. Mit Glück allerdings, so rechnete er sich aus, würde er vorher zu Hause sein.
Zu Hause! Zu Mum und Dad konnte er nicht zurückkehren, so viel war klar. Dann wäre alles umsonst gewesen. Er würde seinen eigenen Ort finden müssen, einen Ort, an dem es die Musik gab, die er suchte. Es musste einen Ort geben wie diese Musik. Er würde diesen Ort finden. Er spürte eine seltsame Sicherheit.
Alles, was Chet von da an unternahm, unternahm er mit einem Gefühl des Abschieds. Er suchte das Café in der Akazienstraße auf, aber er wartete nicht mehr auf Ricky. Er betrachtete den bemalten Stuck ganz genau, als wollte er ihn in sich aufsaugen, und war plötzlich gerührt, als er im Radio die Musik hörte, die ihn normalerweise ärgerte, diese typische deutsche Nachkriegsmelange aus dem Swing der Vorkriegszeit, vermischt mit deutschem Schlager und Jazz-Rhythmen. Musik wie lauer Kaffee, wie dieser
Kaffee mit Schuss
, auf den sie im Café Paulus so scharf waren und den irgendein Witzbold angesichts der Trümmer ringsum
Kaffee mit Schutt
getauft hatte: Kaffee mit einem Schuss Brandy oder Whiskey darin, so dass beides nicht mehr recht zu schmecken war, der Kaffee nicht und nicht der Alkohol.
|209| Er glaubte, die Sängerin wiederzuerkennen, die ihn bei seiner Ankunft in Bremerhaven so erschreckt hatte, die Frau mit der Männerstimme, die Lale Andersen hieß, die Frau, die
Lili Marleen
gesungen hatte. Er hatte sich alle Frauen damals so vorgestellt, wie er sich Lale Andersen vorstellte. Er dachte, dass alle deutschen Frauen Walküren seien, vierschrötige Flintenweiber, die die jungen Soldaten hinterrücks überfallen und töten würden. Chet lachte leise. Wie lange war das her! Im Café redeten sie über nichts anderes als über die Auftritte eines Stars aus den USA, der zum ersten Mal Berlin besuchte. Chet verstand die ganze Aufregung nicht.
Er hatte auch nicht verstanden, dass die Ehrenformation für einen normalen Instrumentalisten
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