Die Geliebte des Trompeters
die Russen Berlin einschließen, und die Blockade würde beginnen. Und aus den amerikanischen Flugzeugen, die gerade noch ihre Kunststücke über dem Tiergarten vorführten, würden die
Rosinenbomber
werden, die lebenswichtige Fracht brachten.
Chet nahm Abschied. Er hatte Abschied genommen, seit er im Tiergarten
Avant garde
gespielt hatte. Der Tiergarten! Er erinnerte sich, wie er einmal hier mit Ricky spazieren gegangen war und wie plötzlich ein Fasan vor ihnen aufgetaucht war. Nichts Besonderes eigentlich. Solche Vögel, und andere, prächtigere noch, gab es zu Hause in Hülle und Fülle. Aber das bunte Federkleid des Vogels hatte in dieser grauen Umgebung geradezu etwas Skandalöses. Wie eine Frau im Ballkleid inmitten der Ruinen. Das hatte Chet auch einmal gesehen, |217| es waren Modeaufnahmen gewesen, die ersten Modefotos nach dem Krieg, und die Fotografen, die für die amerikanische
Vogue
arbeiteten, waren begeistert gewesen von der Kulisse. Der Vogel stolzierte allein zwischen den abgehackten Baumstümpfen im Tiergarten herum, er suchte Gras, er zupfte verwirrt an dem wenigen Gras, das dort wuchs.
Ricky war fasziniert stehengeblieben, und sie hatten sich lange nicht gerührt, um das Tier zu beobachten. Ein Wunder, dass niemand gekommen war und den Vogel gejagt hatte! Aber er war einfach verschwunden, leise kollernd, so, wie er gekommen war, und sie hatten versucht, dieses Kollern nachzumachen, hatten gelacht und um die Wette gegurrt, sich angegurrt, und waren glücklich gewesen. Das war schon ein halbes Jahr her. Alles war nun zum letzten Mal. Der letzte Besuch im Jazzkeller, wo unbeirrbar die
Danny Banana Band
spielte. Letzte Abende mit Dick. Pokerabende. Verloren, natürlich. Pornoabende. Vergessen, natürlich.
Dick lachte und verzieh alles. Dick hatte sich entschlossen zu bleiben. Man hatte ihm die Leitung des Premierenkinos angetragen, und Dick, gerade zwanzig geworden, griff zu. Die Stadt, so sagte er, bot ihm die Chance seines Lebens. Moni war wie vom Erdboden verschwunden. Endgültig zu ihrem Schlachtergatten zurückgekehrt und mit ihm in der russischen Zone untergetaucht. Chet fragte nach ihr, aber niemand wusste etwas. Und Ricky? Ein paar Mal noch hatten sie sich getroffen, aber es war ein seltsames Gefühl. Sie war irgendwie – anders. Distanziert, geschäftig, er merkte das schon an der Art, wie sie ging. Schneller als vorher, mit festeren, größeren Schritten. Chet stellte sich ihre Füße vor, die kleinen, festen Füße, die er so oft in seinen Händen gehalten hatte, aber wenn sie sich jetzt trafen, steckten die Füße in Winterstiefeln, und die Stiefel waren von Gamaschen bedeckt. Die Stiefel waren neu. Er wusste nicht, woher sie die |218| hatte, aber die neuen Stiefel ärgerten ihn, es versetzte ihm einen Stich, und er nutzte den erstbesten Vorwand, um zornig zu werden, und ließ sie stehen.
Schon am nächsten Tag wusste er nicht mehr, was der Anlass gewesen war. Und dann nahmen sie wirklich Abschied – er und Sergeant Glitt und die anderen von der Army Band. Er war einer unter vielen gewesen, ein neuer Trompeter würde seinen Platz einnehmen, aber sie betranken sich noch einmal gemeinsam und spielten sämtliche Hits von Glenn Miller und Duke Ellington, und nach dem vierten oder fünften Whiskey machte Chet ein paar Kapriolen mit seiner Trompete, ließ sie aufjaulen und heiser klingen und dachte dabei an Dizzy. Dizzy Gillespie. Die anderen lachten. Verrückter kleiner Kerl! Sie schlugen ihm auf die Schulter. Es zog ihn nach Hause.
Ein paar Tage später saß Chet mit anderen verkaterten Heimkehrern im Zug nach Bremerhaven. Es schneite. Aber es wurde ein milder Winter.
Chet Baker sollte später noch oft nach Deutschland zurückkehren, aber nie versuchte er, Riccarda Krampitz wiederzufinden. Er dachte nicht an sie, wenn er in Deutschland auf Tournee war. Sie gehörte nicht zu seinem Musikerleben. Er erinnerte sich vielmehr an sie, wenn er zu Hause, in Kalifornien, war, und zu den letzten Gästen gehörte, die eine Bar oder einen Nachtclub verließen. Dann erzählte er manchmal von Ricky, seinem
deutschen Fraulein
, von seinem Mädchen mit den angelegten Ohren. Die Ohren hatten ihr das Gesicht eines hungrigen, etwas gereizten kleinen Tieres gegeben, sagte er. Immer noch grübelte er manchmal darüber nach, was für ein Tier das sein könnte. Und sie hatte schöne Füße. Die Leute aber hörten ihm nicht zu, denn sein Gebrabbel war meistens unverständlich um diese Zeit. Er nahm
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