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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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neuen Versuch wagte. »Woher hast du ihn?« fragte ich.
    »Aus einem Bordell.«
    »Ach so, natürlich«, entgegnete ich. »Was für eine Frage.« Mein Blick fiel auf den Schmutz an seinen Kleidern. »Und du hattest selbstverständlich einen ganz ausgezeichneten Grund, dort vorbeizuschauen, nehme ich an?«

    »Aye.« Er lehnte sich zurück, schlang die Arme um die Knie und sah grinsend zu, wie ich mein Strumpfband in Ordnung brachte. »Ich dachte, es wäre dir lieber, ich würde ein solches établissement aufsuchen, statt mir in einer finsteren Gasse den Schädel einschlagen zu lassen.«
    Ich sah, wie der Junge eine Schale mit glasierten Keksen fixierte, die auf einem Tischchen an der Wand stand, und sich die Lippen leckte.
    »Ich glaube, dein Schützling ist hungrig«, sagte ich. »Gib ihm doch was zu essen, und dann erzähl mir, was zum Teufel heute nachmittag passiert ist.«
    »Nun, ich war unterwegs zum Hafen«, begann er, während er sich erhob, »und gleich hinter der Rue Eglantine spürte ich ein merkwürdiges Prickeln im Nacken.«
    Jamie Fraser hatte zwei Jahre in der französischen Armee gedient, war dann mit einer Bande Schotten ohne Clanbindung herumgezogen und war in den Hochmooren und Bergen seines Heimatlandes als Verbrecher gejagt worden. All das hatte seinen sechsten Sinn geschärft.
    Er war sich nicht sicher, ob es das Geräusch allzu naher Schritte, ein verräterischer Schatten oder etwas weniger Konkretes war - vielleicht die Witterung eines Unheils, das in der Luft lag. Doch er hatte gelernt, wachsam zu sein, wann immer es unter seinen Nakkenhaaren zu prickeln begann.
    Und so wandte er sich an der nächsten Ecke unverzüglich nach links statt nach rechts, schlüpfte am Stand eines Schneckenverkäufers vorbei und zwängte sich zwischen Fässern mit heißem Brei und frischen Kürbissen zu einem kleinen Fleischerladen durch.
    An die Mauer neben der Tür gepreßt, spähte er vorsichtig an den aufgehängten Schlachtenten vorbei. Keine Sekunde später betraten zwei Männer die Straße und blickten von einer Seite zur anderen.
    Es gab bei jedem Arbeiter und Handwerker in Paris untrügliche Zeichen dafür, welchen Beruf er ausübte, und man brauchte keine besonders feine Nase, um den Meersalzgeruch der beiden Männer wahrzunehmen. Der kleine Ohrring bei dem einen war schon verräterisch genug, doch die dunkelroten bis bräunlichen Gesichter ließen keinen Zweifel, daß es sich um Matrosen handelte.
    Da Seeleute beengte Schiffsräume und berstend volle Hafentavernen gewohnt waren, gingen sie selten in einer geraden Linie.
Diese beiden schlängelten sich durch die Gasse wie Aale; ihre rastlosen Blicke streiften Bettler, Dienstmädchen, Hausfrauen und Händler - Seewölfe, die nach Beute Ausschau hielten.
    »Ich wartete, bis sie weit genug weg waren«, berichtete Jamie, »und wollte gerade in der anderen Richtung davongehen, als ich einen weiteren Mann am Ende der Gasse sah.«
    Dieser war unschwer als Spießgeselle der beiden anderen zu erkennen: er hatte ebenso schmierige Locken, ein Fischmesser an der Seite und einen ellenlangen Marlpfriem, der in seinem Gürtel steckte. Reglos stand der kleine, untersetzte Mann zwischen den vorüberdrängenden Menschen in der engen Gasse. Offensichtlich stand er hier Wache, während seine Kameraden sich weiter vorne umsahen.
    »So stand ich da und überlegte, was ich tun sollte«, sagte Jamie, während er sich die Nase rieb. »Hier war ich zwar in Sicherheit, aber der Laden hatte keine Hintertür. Sobald ich hinausging, würde ich entdeckt werden.« Versonnen blickte er auf seinen scharlachroten Kilt hinunter. Ein hünenhafter roter Barbar war immer auffällig, auch wenn noch so dichtes Gedränge herrschte.
    »Und was hast du dann gemacht?« fragte ich. Fergus war gerade eifrig dabei, sich die Taschen mit Keksen vollzustopfen, und hielt nur inne, um ab und zu einen im Mund verschwinden zu lassen. Jamie folgte meinem Blick.
    »Er ist es wohl nicht gewohnt, daß er regelmäßig zu essen bekommt«, meinte er achselzuckend. »Laß ihn nur.«
    »Gut«, sagte ich. »Aber erzähl, wie ging es weiter?«
    »Ich habe mir eine Wurst gekauft«, erwiderte er prompt.
    Eine Dunedin, um genau zu sein - gefüllt mit gewürztem Entenfleisch, Schinken und Wildbret, gekocht und in der Sonne getrocknet. Eine Dunedin-Wurst war einen knappen halben Meter lang und hart wie abgelagertes Eichenholz.
    »Ich konnte schlecht mit gezogenem Schwert hinauslaufen«, erläuterte Jamie, »aber ich wollte

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