Die Geliehene Zeit
Fräser.«
»Herrin genügt«, erwiderte ich lächelnd und zappelte etwas heftiger mit dem Bein, um Jamies Hand abzuschütteln. »Äh - warum eigentlich, wenn ich fragen darf?«
»Wie - warum? Ach, du meinst Fergus?«
»Du hast es erfaßt.« Ich wußte nicht, wie weit sein Arm noch
reichen würde, aber inzwischen war die Hand an meinem Oberschenkel angelangt. »Jamie, nimm sofort deine Hand da weg!«
Doch da hatte er schon mit einer ruckartigen Bewegung das Strumpfband gelöst, so daß der Strumpf bis zum Knöchel hinunterrutschte.
»He!« Ich trat nach ihm, doch er wich lachend aus.
»Scheusal!« fauchte ich und versuchte den Strumpf hochzuziehen, ohne dabei umzufallen. Der Junge warf einen kurzen, desinteressierten Blick in unsere Richtung, dann vertiefte er sich wieder in das Fangballspiel.
»Was den Jungen betrifft«, fuhr Jamie unbekümmert fort, »er steht jetzt in meinen Diensten.«
»Und was soll er tun? Wir haben doch schon einen Küchenjungen, einen Stiefelknecht und einen Stallburschen.«
Jamie nickte. »Das stimmt. Aber wir haben noch keinen Taschendieb. Besser gesagt: wir hatten keinen - bis jetzt.«
Ich atmete tief durch.
»Aha. Vielleicht bin ich ein bißchen begriffsstutzig, aber könntest du mir mal erklären, wozu wir einen Taschendieb brauchen?«
»Zum Briefe stehlen, Sassenach«, erwiderte Jamie gelassen.
»Ach so.« Jetzt ging mir ein Licht auf.
»Aus Seiner Hoheit ist nichts Vernünftiges herauszubekommen; wenn ich bei ihm bin, tut er nichts anderes, als über Louise de La Tour zu seufzen oder mit den Zähnen zu knirschen und zu fluchen, wenn sie sich wieder einmal gestritten haben. Im einen wie im anderen Fall will er sich nur möglichst rasch betrinken. Mar verliert allmählich die Geduld mit ihm, denn er ist entweder hochnäsig oder mürrisch. Und Sheridan hält sich völlig bedeckt.«
Der Graf von Mar war der angesehenste unter den schottischen Jakobiten im Pariser Exil. Der Mann, der nach einer langen, glanzvollen Blütezeit nunmehr in die reiferen Jahre kam, war König James’ bedeutendster Mitstreiter bei dem fehlgeschlagenen Aufstand von 1715 gewesen; nach der Niederlage bei Sheriffsmuir war er seinem König ins Exil gefolgt. Als ich den Grafen kennenlernte, mochte ich ihn auf Anhieb: ein ältlicher, höflicher Mann, aufrecht in seinem Wesen wie auch in seiner Körperhaltung. Nun tat er sein Bestes für den Sohn seines Königs - was ihm anscheinend kaum gedankt wurde. Ich kannte auch Thomas Sheridan, den Hauslehrer Seiner Hoheit; er war ein älterer Herr, der die Korrespondenz
Seiner Hoheit erledigte und dessen ungehaltene und unkultivierte Äußerungen in höfliches Französisch und Englisch übertrug.
Ich setzte mich und zog meinen Strumpf wieder hoch. Anscheinend war Fergus an den Anblick von Frauenbeinen gewöhnt, denn er ignorierte mich völlig und konzentrierte sich auf sein Spielzeug.
»Briefe, Sassenach«, fuhr Jamie fort. »Das ist es, was ich brauche. Briefe aus Rom mit dem Siegel der Stuarts, Briefe aus Frankreich, aus England, aus Spanien. Wir können sie uns entweder im Haus des Prinzen besorgen - Fergus kann mich als Page begleiten - oder vielleicht beim päpstlichen Boten, der sie überbringt. Das wäre sogar noch besser, denn dann wüßten wir im voraus Bescheid.«
»Deshalb sind wir übereingekommen«, erklärte Jamie mit einem Blick auf seinen neuen Diener, »daß Fergus mir in dieser Angelegenheit nach besten Kräften hilft. Dafür hat er Kleider, Kost und Logis frei und erhält von mir dreißig Ecus jährlich. Wenn er erwischt wird, versuche ich nach Möglichkeit, ihn freizukaufen. Wenn das nicht geht und er eine Hand oder ein Ohr verliert, komme ich lebenslang für seinen Unterhalt auf, weil er ja dann seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Und wenn er gehängt wird, verspreche ich, ein Jahr lang Messen für ihn lesen zu lassen. Das ist doch anständig, oder?«
Mir lief es eiskalt über den Rücken.
»Herrgott, Jamie«, war alles, was ich herausbringen konnte.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Sassenach. Bete nicht zu Gott, sondern zum heiligen Dismas, dem Schutzpatron der Diebe und Verräter.«
Jamie nahm dem Jungen den Fangbecher weg. Eine ruckartige Drehung des Handgelenks ließ den Elfenbeinball in einer perfekten Parabelform aufsteigen, bevor er erwartungsgemäß in den Becher zurückplumpste.
»Ich verstehe«, meinte ich und beobachtete neugierig unseren frischgebackenen Angestellten, während dieser das Spielzeug entgegennahm und einen
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