Die Geliehene Zeit
selbst schon ausprobiert?«
»Um Himmels willen, nein!« Von meinem heftigen Ton selbst überrascht, atmete ich tief durch.
»Nein. Aber ich habe Frauen gesehen, die es genommen haben - im Höpital des Anges.« Die Engelmacherinnen praktizierten meist zurückgezogen bei sich zu Hause oder bei ihren Kundinnen, und es waren nicht die erfolgreich behandelten Frauen, die ins Spital kamen. Unwillkürlich legte ich meine Hand schützend auf meinen
Unterleib. Als Louise diese Geste bemerkte, warf sie sich auf das Sofa und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Ach, ich wollte, ich wäre tot!« jammerte sie. »Warum habe ich nicht wie du das Glück, das Kind eines Ehemanns auszutragen, den ich liebe?« Sie preßte die Hände auf ihren gewölbten Bauch und starrte darauf, als erwartete sie, das Kind würde gleich hervorlugen.
Auf diese Frage hätte ich alles mögliche erwidern können, aber ich hatte den Eindruck, daß sie nichts davon hören wollte. Also setzte ich mich neben sie und tätschelte ihre Schulter.
»Louise«, sagte ich, »willst du das Kind?«
Sie hob den Kopf und sah mich verwundert an.
»Natürlich will ich’s!« rief sie. »Es ist... es ist Charles’ Kind! Es...« Mit kummervoller Miene blickte sie abermals auf ihren Bauch hinunter. »Es ist mein Kind«, flüsterte sie. Nach einer Weile hob sie das tränenüberströmte Gesicht, und in einem kläglichen Versuch, Haltung anzunehmen, wischte sie sich die Nase am weiten Ärmel ihres Damastkleides ab.
»Aber es geht nicht«, sagte sie. »Wenn ich...« Sie schluckte, als ihr Blick auf das Rezept fiel. »Dann läßt Jules sich scheiden... er jagt mich davon! Es gäbe einen entsetzlichen Skandal. Ich würde womöglich exkommuniziert werden! Nicht einmal Vater könnte mich schützen.«
»Ja, aber...«, meinte ich zögerlich. Dann schlug ich jede Vorsicht in den Wind und fragte ohne Umschweife: »Gäbe es irgendeine Möglichkeit, Jules davon zu überzeugen, daß es sein Kind ist?«
Sie schaute mich so ausdruckslos an, daß ich sie am liebsten geschüttelt hätte.
»Ich wüßte nicht, wie... ach so!« dämmerte es ihr endlich, und das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Du meinst, ich soll mit Jules schlafen? Aber Charles wäre außer sich!«
»Aber Charles ist schließlich nicht schwanger!« erwiderte ich grimmig.
»Na ja, aber er... ich meine... nein, das kann ich nicht!« Doch ihr entsetzter Ausdruck schwand bereits, je mehr sie die Möglichkeit in Erwägung zog.
Ich wollte sie nicht drängen; andererseits sah ich keinen Grund, warum sie ihr Leben aufs Spiel setzen sollte, um Charles Stuarts Stolz zu schonen.
»Glaubst du, Charles würde wollen, daß du dich einer solchen Gefahr aussetzt?« gab ich zu bedenken. »Und überhaupt - weiß er eigentlich von dem Kind?«
Sie nickte nachdenklich. »Ja. Deshalb haben wir letztens auch gestritten.« Sie schniefte. »Er war wütend und sagte, es sei alles meine Schuld, ich hätte warten sollen, bis er den Thron seines Vaters zurückerobert hat. Eines Tages wäre er dann König und würde mich von Jules wegbringen und den Papst veranlassen, meine Ehe zu annullieren. Seine Söhne würden den Thron von England und Schottland erben...« Wieder packte sie die Verzweiflung. Schluchzend stammelte sie wirres Zeug vor sich hin.
Ich wurde ungehalten.
»Ach, sei doch still, Louise!« fuhr ich sie an. Daraufhin hörte sie - zumindest vorübergehend - auf zu heulen, und ich nutzte die Pause, um meine Argumente vorzubringen.
»Schau«, sagte ich so überzeugend wie möglich, »glaubst du etwa, Charles möchte, daß du seinen Sohn opferst, ob ehelich oder nicht?« Tatsächlich vermutete ich, Charles würde jede Entscheidung begrüßen, wenn ihm dadurch Unannehmlichkeiten erspart blieben - ohne Rücksicht auf Louise und seinen eigenen mutmaßlichen Sprößling. Andererseits besaß der Prinz einen ausgeprägten Hang zur Romantik; vielleicht konnte man ihn glauben machen, dies sei nur so etwas wie eine vorübergehende Widrigkeit, die Exilmonarchen häufig widerfuhr. Offensichtlich würde ich Jamies Hilfe benötigen. Ich dachte mit gemischten Gefühlen daran, was er dazu sagen würde.
»Nun...« Louise war wankend geworden und schien unbedingt überzeugt werden zu wollen. Einen kurzen Augenblick lang empfand ich Mitleid mit Jules, dem Prince de Rohan. Doch das Bild einer jungen Dienstmagd, die auf einem blutverschmierten Strohsack im Flur des Hôpitals des Anges einen langen, qualvollen Tod gestorben war, stand
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