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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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nicht wahr?« Er machte eine vage Armbewegung in Richtung der Wand und ließ es offen, ob ich mich mit der Betrachtung der großen Gemälde, des wohlgefüllten Bücherregals oder der Glasvitrinen amüsieren sollte, die die Schnupftabakdosensammlung des Herzogs enthielten.
    »Vielen Dank«, murmelte ich mit einem reizenden Lächeln, begab mich zu der Wand und vertiefte mich in einen großen Boucher, der die Rückenansicht einer üppigen Nackten auf einem Felsen inmitten der Wildnis zeigte. Wenn dieses Bild den Zeitgeschmack hinsichtlich der weiblichen Anatomie ausdrückte, wunderte es mich nicht mehr, daß Jamie so viel von meinem Hintern hielt.
    »Ha!«, rief ich. »Ein Königreich für ein Korsett.«
    »Was?« Jamie und der Herzog blickten verblüfft von ihrem Portefeuille mit Anlagepapieren auf, das die offizielle Begründung für unseren Besuch lieferte.
    »Laßt Euch durch mich nicht stören«, erklärte ich mit einer huldvollen Handbewegung. »Ich erfreue mich nur an der Kunst.«
    »Das höre ich mit größter Genugtuung, Madam«, bemerkte der Herzog höflich und wandte sich sofort wieder den Papieren zu, während Jamie sich gewissenhaft dem eigentlichen Zweck unseres Besuches widmete-dem Herzog unauffällig zu entlocken, ob er auf Seiten der Stuarts stand oder nicht.
    Auch ich hatte mir für den Besuch etwas vorgenommen. Während sich die Männer wieder ins Gespräch vertieften, arbeitete ich mich allmählich zur Tür vor und tat so, als inspizierte ich die wohlgefüllten Regale. Sobald ich unbemerkt entwischen konnte, wollte ich hinausschlüpfen und Alex Randall suchen. Für Mary Hawkins hatte ich bereits getan, was in meiner Macht stand; jeder weitere Schritt mußte von ihm kommen. Die gesellschaftliche Etikette machte es ihm unmöglich, Mary im Haus ihres Onkels zu besuchen, und genausowenig konnte sie mit ihm Kontakt aufnehmen. Ich aber konnte den beiden ohne weiteres eine Gelegenheit bieten, sich in der Rue Tremoulins zu treffen.
    Die Männer hatten die Stimmen mittlerweile zu einem vertraulichen Flüstern gesenkt. Ich streckte den Kopf in die Halle, konnte aber keinen Lakai entdecken. Doch in einem Haus wie diesem mußte es Dutzende von Dienstboten geben, also konnte der nächste nicht weit sein. Ohne Wegbeschreibung konnte ich Alexander Randall in einem so großen Gebäude nicht finden. Also schlug ich einfach irgendeine Richtung ein und suchte nach jemandem, den ich fragen konnte.
    Als ich am anderen Ende des Flures eine Bewegung sah, rief ich die Person an. Doch sie antwortete nicht. Alles, was ich hörte, waren verstohlene Schritte auf dem polierten Parkett.
    Für einen Dienstboten war dieses Verhalten merkwürdig. Ich blieb stehen und schaute mich um. Im rechten Winkel schloß sich ein weiterer Flur an; an der einen Seite waren Türen, an der anderen hohe Fenster, die auf die Auffahrt und den Garten hinausgingen. Mir fiel auf, daß eine Tür in meiner Nähe nur angelehnt war.
    Auf leisen Sohlen näherte ich mich der Tür und lauschte. Da ich nichts hörte, nahm ich die Klinke und öffnete mutig die Tür.
    »Was in aller Welt machst du denn hier?« rief ich erstaunt.
    »Oh, hast du mich erschreckt! Du liebe G-güte, ich hab’ gedacht, ich m-muß sterben.« Mary Hawkins preßte beide Hände an ihr Mieder. Ihr Gesicht war kalkweiß und ihre dunklen Augen vor Schreck geweitet.

    »Das wirst du schon nicht«, entgegnete ich. »Es sei denn, dein Onkel findet dich hier. Dann bringt er dich wahrscheinlich um. Oder weiß er etwa, daß du hier bist?«
    »Nein. Ich habe es niemandem erzählt. Ich bin mit einer Droschke gekommen.«
    »Aber um Gottes willen, warum denn?«
    Sie sah sich um wie ein verängstigtes Kaninchen, das einen Unterschlupf sucht. Da sie aber keinen fand, richtete sie sich auf und biß die Zähne zusammen.
    »Ich muß Alex finden. Ich muß m-mit ihm reden. Ich muß wissen, ob er - ob er...« Sie rang die Hände; es war nicht zu übersehen, welche Überwindung es sie kostete, die Worte über die Lippen zu bringen.
    »Ist schon gut«, sagte ich resigniert. »Ich verstehe. Dein Onkel aber würde es nicht verstehen und der Herzog auch nicht. Weiß Seine Hoheit, daß du hier bist?«
    Sie schüttelte stumm den Kopf.
    »Gut«, sagte ich und dachte nach. »Zuerst einmal müssen wir...«
    »Madame? Kann ich Ihnen helfen?«
    Mary zuckte zusammen, und mein Herzschlag setzte aus. Verdammte Lakaien, sie tauchten immer nur dann auf, wenn man sie nicht brauchte.
    Jetzt half nur noch größte

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