Die Geliehene Zeit
Ballen Stoff mitgebracht.
»Es heißt, daß in Portugal die Pocken ausgebrochen sind«, bemerkte er und ließ den teuren Seidenmoire auf das Bett plumpsen. »Heute früh ist ein Schiff mit Eisen aus Lissabon eingetroffen, und der Hafenmeister hat es mit dem Staubkamm untersucht, er und seine drei Helfer. Haben aber nichts gefunden.« Als er die Weinbrandflasche auf dem Tisch erspähte, schenkte er sich einen Becher halbvoll, und goß es wie Wasser hinunter. Mit offenem Mund beobachtete ich das Schauspiel, bis ich Jamies Ausruf hörte.
»Pocken?«
»Aye«, sagte Murtagh zwischen zwei Schlucken.
»Blattern.« Dann wandte er sich wieder seiner Erfrischung zu.
»Pocken«, murmelte Jamie vor sich hin. »Pocken.«
Allmählich glättete sich seine Stirn, und auch die senkrechten Falten zwischen seinen Brauen verschwanden. Er wirkte auf einmal sehr nachdenklich. Der Anflug eines Lächelns spielte um seinen breiten Mund.
Murtagh beobachtete es mit skeptischer Resignation. Er kauerte stur auf seinem Hocker und leerte seinen Becher, während Jamie
aufsprang und ihn, unmelodisch durch die Zähne pfeifend, umkreiste.
»Du hast wohl eine Idee?« fragte ich.
»Aye«, erwiderte er und lachte in sich hinein. »Aye, die habe ich.«
Er sah mich an. In seinen Augen leuchtete der Schalk.
»Hast du etwas in deinem Medizinkasten, das Fieber auslöst? Oder rote Ruhr? Oder Pusteln?«
»Nun ja«, entgegnete ich langsam und dachte nach. »Rosmarin zum Beispiel. Oder Cayenne. Und Faulbaumrinde natürlich, für Durchfall. Warum?«
Mit breitem Grinsen sah er Murtagh an, kicherte und zauste seinem Verwandten die Haare. Murtagh starrte ihn wütend an, wobei er erstaunliche Ähnlichkeit mit Louises Lieblingsäffchen aufwies.
»Hört zu.« Jamie beugte sich verschwörerisch über uns. »Was geschieht, wenn das Schiff des Comte de St. Germain mit Pocken an Bord aus Portugal zurückkehrt?«
»Hast du den Verstand verloren?« erkundigte ich mich höflich. »Was soll dann sein?«
»In dem Fall«, mischte sich Murtagh ein, »würden sie die Fracht verlieren. Man würde das Schiff verbrennen oder im Hafen versenken, wie das Gesetz es befiehlt.« Die schwarzen Äuglein blitzten neugierig auf. »Und wie willst du das anstellen, mein Junge?«
Durch diese Frage wurde Jamies Begeisterung ein wenig gedämpft, aber seine Augen leuchteten unvermindert.
»Nun ja«, gab er zu, »das hab’ ich mir noch nicht so genau überlegt, aber zunächst mal...«
Einige Tage lang diskutierten und forschten wir, bis der Plan ausgereift war, und schließlich hatten wir uns auf eine Vorgehensweise geeinigt. Faulbaumrinde wurde verworfen, weil es den Organismus zu sehr schwächte. In den Kräuterbüchern, die mir Maître Raymond geliehen hatte, fand ich jedoch brauchbaren Ersatz.
Bewaffnet mit einem Beutel, der Rosmarinextrakt, Nesselsaft und Färberwurzel enthielt, würde Murtagh sich am Ende der Woche auf den Weg nach Lissabon machen, wo er in den Tavernen Seeleute aushorchen und das vom Comte de St. Germain angeheuerte Schiff ausfindig machen sollte. Dann wollte er eine Überfahrt auf eben diesem Frachter buchen, während er uns durch einen
Boten den Namen des Schiffes und den Tag der Abreise mitteilen würde.
»Nein, das ist üblich«, entgegnete Jamie auf meine Frage, ob dieses Ansinnen dem Kapitän nicht verdächtig vorkommen würde. »Fast alle Frachtschiffe nehmen Passagiere mit, so viele sie im Zwischendeck nur unterbringen können.« Mahnend hob er den Finger.
»Murtagh, du nimmst eine Kajüte, hörst du? Ist mir gleich, was das kostet. Du mußt die Kräuter ungestört einnehmen können. Wir wollen nicht riskieren, daß dich jemand sieht, nur weil du nichts als eine Hängematte im Kielraum hast.« Er musterte seinen Patenonkel kritisch. »Besorg dir einen anständigen Rock. Wenn du wie ein Bettler gekleidet an Bord gehst, landest du wieder im Hafen, bevor sie merken, was du in deiner Felltasche hast.«
»Mmmpf«, brummte Murtagh. Für gewöhnlich trug er nicht viel zum Gespräch bei, doch was er sagte, war brauchbar und überzeugend. »Und wann nehme ich das Zeug?« wollte er wissen.
Ich zog das Blatt Papier heraus, auf dem ich die Instruktionen und die Dosierung notiert hatte.
»Zwei Teelöffel von der Färberwurzel - das ist das hier«, ich tippte das helle Glasfläschchen an, das eine dunkle, rötliche Flüssigkeit enthielt, »und zwar vier Stunden, bevor du deine Symptome zeigen willst. Nach der ersten Dosis nimmst du alle zwei Stunden einen
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