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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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weiteren Teelöffel - wir wissen nicht, wie lange du durchhalten mußt.«
    Dann gab ich ihm eine zweite Flasche, die eine schwarzviolette Flüssigkeit enthielt. »Das ist ein Extrakt aus Rosmarinblättern. Er wirkt schneller. Trink etwa ein Viertel der Flasche eine halbe Stunde, bevor du dich zeigen willst. Bis dahin hat sich deine Haut gerötet. Die Wirkung läßt schnell nach, also solltest du später noch etwas einnehmen, wenn es sich unauffällig machen läßt.« Ich nahm ein kleineres Fläschchen aus meinem Medizinkasten. »Und wenn das ›Fieber‹ schon gut zu erkennen ist, reibst du Arme und Gesicht mit dem Nesselsaft ein, damit Pusteln entstehen. Möchtest du die Anweisungen behalten?«
    Er schüttelte energisch den Kopf. »Nein, ich merke es mir. Wenn man das Papier bei mir findet, wäre das gefährlicher, als wenn ich vergesse, wieviel ich nehmen muß.« Er wandte sich an Jamie.
    »Und du stößt in Oviedo zu uns, Junge?«

    Jamie nickte. »Aye. Den Hafen läuft das Schiff bestimmt an. Alle Weinfrachter nehmen dort Frischwasser an Bord. Wenn sich der Kapitän zufällig anders entscheidet, dann werde ich ein Boot mieten und versuchen, euch einzuholen. Solange ich an Bord komme, bevor wir Le Havre erreichen, ist alles in Ordnung. Aber am besten wäre es, wenn alles über die Bühne geht, während wir noch vor der spanischen Küste sind. Ich möchte nicht länger auf See bleiben als unbedingt nötig.« Er wies mit dem Kinn auf die Flasche in Murtaghs Hand.
    »Das Zeug nimmst du lieber erst ein, wenn du mich an Bord kommen siehst. Ohne Zeugen könnte sich der Kapitän für den einfachsten Ausweg entscheiden und dich nachts über Bord gehen lassen.«
    Murtagh grunzte. »Aye, das soll er ruhig versuchen.« Er griff nach dem Schaft seines Dolches.
    Jamie runzelte die Stirn. »Verlier nicht die Beherrschung. Du sollst so aussehen, als wärst du an Blattern erkrankt. Wenn du Glück hast, wagen sie es nicht, dich anzurühren. Aber nur für den Fall... wart ab, bis ich in Reichweite bin und wir uns ein gutes Stück von der Küste entfernt haben.«
    »Mmmpf.«
    Ich sah erst den einen an, dann den anderen. Der Plan war zwar verwegen, konnte aber klappen. Wenn der Kapitän davon überzeugt werden konnte, daß einer seiner Passagiere an Pocken erkrankt war, würde er sein Schiff auf keinen Fall in Le Havre einlaufen lassen, wo die französischen Gesetze seine Zerstörung verlangten. Vor die Wahl gestellt, entweder mit der Fracht nach Lissabon zurückzusegeln und damit jeglichen Gewinn der Fahrt einzubüßen oder zwei Wochen in Oviedo festzusitzen, während die Nachricht an seinen Auftraggeber in Paris ging, würde er sich vielleicht überlegen, die Fracht an den reichen schottischen Kaufmann abzustoßen, der gerade an Bord gekommen war.
    Die glaubwürdige Verkörperung des Pockenkranken war der Dreh- und Angelpunkt bei diesem Täuschungsmanöver. Jamie hatte sich als Versuchskaninchen für die Erprobung der Kräuter zur Verfügung gestellt, und sie hatten hervorragend gewirkt. Seine helle Haut hatte sich innerhalb von Minuten dunkelrot verfärbt, und der Nesselsaft rief sofort Pusteln hervor, die in den Augen eines Schiffsarztes oder eines verängstigten Kapitäns leicht als Pockensymptome
durchgehen konnten. Wenn dann noch Zweifel bestanden, würde der durch die Färberwurzel gerötete Urin den überzeugenden Eindruck erwecken, daß hier ein an Blattern erkrankter Mann Blut pißte.
    »Großer Gott!« rief Jamie, als er verblüfft feststellte, daß die Kräuter tatsächlich ihre Wirkung taten.
    »Oh, wunderbar!« Ich spähte über seine Schulter auf den dunkelroten Inhalt des Porzellannachttopfs. »Das ist besser, als ich erwartet hatte.«
    »Ach ja? Wie lange dauert es, bis es wieder nachläßt?« fragte Jamie ziemlich nervös.
    »Ein paar Stunden, würde ich sagen. Warum? Fühlst du dich komisch?«
    »Nicht direkt komisch«, meinte er. »Aber es juckt ein bißchen.«
    »Das sind nicht die Kräuter«, warf Murtagh mürrisch ein. »Das entspricht dem Normalzustand bei einem Jungen in deinem Alter.«
    Jamie grinste seinen Patenonkel an. »Reicht dein Erinnerungsvermögen so weit zurück?«
    »Ich erinnere mich an Zeiten, da warst du noch in Abrahams Wurstkessel, Jungchen«, meinte Murtagh kopfschüttelnd.
    Er verstaute die Fläschchen in seiner Felltasche, wobei er jedes einzelne sorgfältig in weiches Leder wickelte, damit sie nicht zu Bruch gingen.
    «Ich schicke beizeiten Nachricht über das Schiff und den Abreisetag.

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