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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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nicht schaffst«, sagte er. Er stellte das Gefäß auf den Boden, so daß es etwa einen Meter vor Jamies nackten Zehen stand. »Von da aus, wo du jetzt stehst.«
    Jamie betrachtete es prüfend und rieb sich das Kinn, während er die Entfernung abschätzte. Der Mann, dessen Arm ich gerade verband, hatte aufgehört zu stöhnen und war ganz Ohr für das Drama, das sich neben ihm entfaltete.
    »Tja, das ist nicht gerade einfach«, meinte Jamie mit absichtlich breitem schottischen Akzent. »Aber für Sixpence? Aye, gut, das ist ein Batzen Geld, für den sich die Mühe lohnt, oder?« Seine schmalen Augen wurden noch etwas schmaler, als er grinste.

    »Leicht verdientes Geld, mein Junge«, erwiderte der Engländer, schwer atmend, aber noch immer grinsend. »Für mich.«
    »Zwei Silberpennies auf den Jungen!« rief einer von MacDonalds Clansmännern aus der Ecke.
    Ein englischer Soldat, der seinen Rock zum Zeichen seines Gefangenenstatus mit der Innenseite nach außen trug, tastete in seiner Rocktasche nach etwas.
    »Ha! Ein Säckchen Tabak dagegen!« rief er und hielt triumphierend einen kleinen Stoffbeutel in die Höhe.
    Derbe Witze wurden gerissen und Wetten geschlossen, während Jamie in die Knie ging und mit großer Geste den Abstand zum Gefäß abschätzte.
    »In Ordnung«, nickte er schließlich, stand auf und straffte die Schultern. »Bist du bereit?«
    Der am Boden kauernde Engländer erwiderte grinsend: » Ich schon, mein Junge.«
    »Gut.«
    Im Raum war es jetzt mucksmäuschenstill. Einige Männer stützten sich auf die Ellbogen, um besser sehen zu können; alle Schmerzen und Feindseligkeiten waren vergessen.
    Jamie sah sich in der Kate um und nickte den Männern aus Lallybroch zu, dann hob er langsam den Saum seines Kilts und griff darunter. Er runzelte die Stirn in höchster Konzentration und tastete herum, dann machte er ein ratloses Gesicht.
    »Ich hatte ihn doch noch, als ich losgezogen bin«, sagte er und erntete schallendes Gelächter.
    Jamie grinste zufrieden. Dann hob er seinen Kilt noch etwas höher, nahm seine jetzt deutlich sichtbare Waffe in die Hand und zielte. Er kniff die Augen zusammen, ging leicht in die Knie und packte fester zu.
    Nichts passierte.
    »Ladehemmung!« frohlockte einer der Engländer.
    »Sein Pulver ist naß geworden!« johlte ein anderer.
    »Hast wohl keine Kugeln im Lauf, Junge? neckte dessen Nebenmann.
    Jamie blinzelte argwöhnisch an sich hinunter, was einen erneuten Ausbruch von Gejohle und Pfiffen zur Folge hatte. Dann hellte sich seine Miene auf.
    »Ha! Meine Kammer ist leer, das ist alles!« Er deutete auf die
Flaschen an der Wand und sah mich fragend an. Als ich nickte, nahm er eine herunter, hielt sie sich an den offenen Mund und kippte sie. Das Wasser ergoß sich über sein Kinn und auf sein Hemd, während er trank.
    »Ahhh.« Er ließ die Flasche sinken, wischte sich mit einem Ärmel übers Gesicht und verneigte sich vor seinem Publikum.
    »Nun denn«, sagte er und griff erneut unter seinen Kilt. Dann fing er meinen Blick auf und hielt mitten in der Bewegung inne. Er sah weder die offene Tür hinter sich noch den Mann, der in diesem Augenblick hereinkam. Doch die plötzlich eintretende Stille mußte ihm klargemacht haben, daß der Spaß vorbei war.
     
    Seine Hoheit Prinz Charles Edward duckte sich, als er die Kate betrat. Er war gekommen, um die Verwundeten zu besuchen, und hatte sich zu diesem Anlaß in eine pflaumenblaue Kniehose aus Samt, farblich passende Strümpfe und - zweifellos, um die Solidarität mit seiner Truppe zum Ausdruck zu bringen - einen Rock und eine Weste aus Cameron-Tartan gehüllt. Über eine Schulter hatte er sich ein Plaid geworfen, das durch eine Brosche aus Rauchquarz gehalten wurde. Sein Haar war frisch gepudert, und der Andreasorden funkelte an seiner Brust.
    Er stand in der Tür, ehrfurchtgebietend und majestätisch, und versperrte seinem Gefolge den Eingang. Sein Blick schweifte durch den Raum, glitt über die fünfundzwanzig dicht an dicht liegenden Männer hinweg, über die Helferinnen, die sie versorgten, die blutgetränkten Verbände, die in einer Ecke lagen, und fiel schließlich auch auf mich, die ich hinter dem mit Arzneimitteln und allen möglichen Geräten beladenen Tisch stand.
    Seine Hoheit hatte für Frauen, die mit der Armee zogen, im allgemeinen nicht viel übrig, aber er wußte, was sich gehört. Ich war eine Frau, trotz der Blutspritzer und der Spuren von Erbrochenem auf meinem Rock und trotz der Tatsache, daß unter meinem

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