Die Geliehene Zeit
Schultern hingen kraftlos herunter, und er wirkte abgemagert.
Er hatte bereits ein Glas in der Hand, gefüllt mit einem Trank, der im Schein des Feuers bernsteinfarben funkelte. Er setzte sich mühsam auf und prostete mir mit einer ironischen Geste zu.
»Du siehst blendend aus... Nichte.« Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Charles vor Erstaunen den Mund aufriß.
»Du nicht«, erwiderte ich brüsk.
Er blickte gleichmütig auf seine verkrüppelten Beine. Etwa hundertfünfzig Jahre später würde man diese Krankheit - nach dem berühmtesten Opfer - Toulouse-Lautrec-Syndrom nennen.
»Nein«, erwiderte er. »Aber es ist immerhin schon zwei Jahre her, seit du mich zum letztenmal gesehen hast. Mrs. Duncan hatte mir damals nicht einmal mehr zwei Jahre gegeben.«
Ich nahm einen Schluck Weinbrand, der ausgezeichnet schmeckte. Charles gab sich wirklich Mühe.
»Ich hätte nicht gedacht, daß du dem Fluch einer Hexe großen Wert beimißt«, gab ich zurück.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er besaß die verwegene Schönheit seines Bruders Dougal, und wenn sich der Schleier der Gleichgültigkeit von seinen Augen hob, überstrahlte die innere Kraft dieses Mannes seine körperlichen Gebrechen.
»Nicht dem Fluch, nein. Ich hatte jedoch den Eindruck, daß die Dame sich auf ihre Beobachtungsgabe stützte, nicht auf die Macht von Verwünschungen. Und ich habe selten eine aufmerksamere Beobachterin gesehen als Geillis Duncan - mit einer Ausnahme«, fügte er mit einem ehrerbietigen Kopfnicken in meine Richtung hinzu.
»Sehr schmeichelhaft«, erwiderte ich.
Colum sah Charles an, der unserem Gespräch mit offenem Mund lauschte.
»Ich danke Euch für Eure Güte, daß Ihr mir für meine Begegnung mit Mrs. Fraser Eure Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt habt, Hoheit«, sagte er mit einer Verbeugung. Die Worte waren durchaus höflich, aber offensichtlich wollte Colum ihn damit hinauskomplimentieren. Charles, der es nicht gewohnt war, daß man so mit ihm umsprang, errötete übers ganze Gesicht und wollte etwas sagen. Dann besann er sich, verbeugte sich kurz und ging hinaus.
»Wir brauchen auch keine Wache!« rief ich ihm nach. Er zog die Schultern hoch und errötete unter seiner Perücke, doch dann machte er eine hastige Handbewegung. Die Wache an der Tür blickte mich erstaunt an und folgte ihm.
»Hm.« Colum sah mißbilligend zur Tür, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder mir zu.
»Ich habe darum gebeten, dich zu sehen, da ich mich bei dir entschuldigen muß«, sagte er ohne Umschweife.
Ich lehnte mich im Stuhl zurück und ließ das Glas lässig auf meinem Bauch ruhen.
»Ach, entschuldigen?« sagte ich mit soviel Sarkasmus, wie mir auf die schnelle zu Gebote stand. »Vermutlich dafür, daß du mich beinahe als Hexe hättest verbrennen lassen.« Ich winkte großzügig ab. »Mach dir darüber bloß keine Gedanken.« Ich starrte ihn wutentbrannt an. »Entschuldigen?!«
Er lächelte, ohne sich im geringsten aus dem Konzept bringen zu lassen.
»Es mag etwas unzulänglich erscheinen«, fuhr er fort.
»Unzulänglich?! Dafür, daß du mich hast verhaften und drei Tage lang ohne Brot und sauberes Wasser in ein Diebesloch sperren lassen? Daß du mir die Kleider vom Leib hast reißen und mich vor aller Augen in Cranesmuir auspeitschen lassen? Daß ich einem Faß Pech und dem Scheiterhaufen gerade noch entronnen bin?« Ich hielt inne und holte tief Luft. »Jetzt, wo du es sagst«, fuhr ich etwas ruhiger fort, »unzulänglich ist genau das richtige Wort.«
Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand.
»Ich bitte um Verzeihung für meine Leichtfertigkeit«, sagte er leise. »Ich hatte nicht die Absicht, dich zu verspotten.«
Ich sah ihn an, doch diesmal lag kein Ausdruck von Belustigung in seinen Augen.
»Nein«, sagte ich und seufzte tief. »Wohl nicht. Vermutlich willst du sagen, daß es auch nicht in deiner Absicht lag, mich wegen Hexerei einsperren zu lassen.«
Seine grauen Augen blickten mich scharf an. »Du weißt es?« »Geillis hat es gesagt. Als wir im Diebesloch waren. Sie meinte, du hättest es eigentlich auf sie abgesehen; daß es mich auch erwischt hat, war eher ein Mißgeschick.«
»Das stimmt.« Er sah plötzlich sehr müde aus. »Wärst du in der Burg gewesen, hätte ich dich schützen können. Warum um Himmels willen bist du auch ins Dorf gegangen?«
»Man hat mir ausgerichtet, Geillis Duncan sei krank und habe mich gebeten zu kommen«, erwiderte ich knapp.
»Aha«, sagte er leise. »Man hat
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