Die Geliehene Zeit
vermied es, mich anzublicken. Offenkundig hatte Aeneas MacDonald nichts Eiligeres zu tun gehabt, als ihm von meinem Auftritt beim Prinzen zu erzählen.
»Es geht ihm wirklich nicht gut«, entgegnete ich knapp. Daß Jamie aufstand und mit Cameron und Lochiel die ganze Nacht über den Berichten brütete, war das letzte, was ich wollte. Das wäre fast so schlimm, wie die ganze Nacht mit den Damen von Edinburgh tanzen zu müssen. Na ja, vielleicht nicht ganz so schlimm, gab ich zu, als ich mich an die drei Damen Williams erinnerte.
»Er wird kommen, sobald er kann«, sagte ich und zog meinen
Umhang enger um mich. »Ich werde es ihm ausrichten.« Ja, ich würde es ihm ausrichten, aber erst am nächsten Tag. Oder am übernächsten. Wo immer sich die englischen Truppen im Augenblick auch befanden, ich war sicher, daß sie mindestens hundertfünfzig Kilometer vor Edinburgh lagen.
Bei meiner Rückkehr warf ich einen kurzen Blick ins Schlafzimmer, um mich zu vergewissern, daß die beiden Patienten regungslos unter ihrer Bettdecke lagen und gleichmäßig atmeten. Ich zog erleichtert den Umhang aus und begab mich mit einer Tasse heißen Tee, dem ich zur Vorbeugung einen tüchtigen Schuß Weinbrand hinzugefügt hatte, in den Salon.
Während ich meinen Tee schlürfte, spürte ich, wie die heiße Flüssigkeit durch meine Kehle rann und die Wärme sich in meiner Brust und in meinem Bauch ausbreitete. Ich hielt mir die Tasse unter die Nase, sog den angenehm bitteren Duft ein und spürte, wie die heißen Weinbranddämpfe meine Stirnhöhlen reinigten. Es erschien mir beinahe wie ein Wunder, daß ich mich in einer Stadt und in einem Haus, in dem die Grippe die Runde machte, selbst nicht angesteckt hatte.
Abgesehen vom Kindbettfieber, war ich seit meiner Reise durch den Steinkreis nicht ein einziges Mal krank gewesen. Das war wirklich eigenartig. In Anbetracht der hygienischen Bedingungen und der überfüllten Behausungen hätte ich doch wenigstens einen Schnupfen bekommen müssen. Doch meine Gesundheit blieb unerschütterlich.
Ich war gewiß nicht immun gegen alle Krankheiten, denn sonst hätte ich ja das Fieber nicht bekommen dürfen. Wie stand es mit den üblichen ansteckenden Krankheiten? Manches war natürlich durch die Impfungen zu erklären. Pocken, Typhus, Cholera oder Gelbfieber konnte ich nicht bekommen. Eine Gelbfieberepidemie war zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber trotzdem. Ich stellte die Tasse ab und betastete durch den Stoff meines Kleides die Impfnarbe.
Ich schauderte, als ich mich an Geillis Duncan erinnerte, dann schob ich den Gedanken beiseite. Ich wollte weder an jene Frau denken, die den Tod auf dem Scheiterhaufen erlitten hatte, noch an Colum MacKenzie, der für ihren Tod verantwortlich war.
Ich stand auf, um mir eine zweite Tasse Tee zu holen. Vielleicht
war es eine angeborene Immunität, überlegte ich weiter. Ich hatte während meiner Schwesternausbildung gelernt, daß Erkältungen durch zahllose Viren ausgelöst werden, die sich ständig verändern. Wenn man einmal mit einem bestimmten Virus in Berührung gekommen ist, wird man gegen ihn immun. Man erkältet sich aber immer wieder, wenn man von neuen, andersartigen Viren befallen wird. Doch die Wahrscheinlichkeit, einen Virus aufzuschnappen, mit dem man nicht schon in Berührung gekommen ist, wird mit zunehmendem Alter immer geringer. Demnach, das hatte ich damals gelernt, erkälten sich Kinder durchschnittlich sechsmal pro Jahr, Menschen mittleren Alters nur noch zweimal und ältere Menschen alle paar Jahre einmal; und zwar deshalb, weil sie mit den meisten gängigen Viren schon einmal in Berührung gekommen und immun geworden sind.
Konnte es sein, daß einige Formen der Immunität im Laufe der Entwicklungsgeschichte von Viren und Menschen erblich wurden? Antikörper gegen zahlreiche Krankheiten konnten von der Mutter ans Kind weitergegeben werden, das wußte ich. Dies geschah durch die Plazenta oder die Muttermilch, so daß das Kind - vorübergehend - gegen jene Krankheiten immun wurde, die die Mutter bereits gehabt hatte. Vielleicht bekam ich deshalb keine Erkältung, weil ich ererbte Antikörper gegen Erreger des achtzehnten Jahrhunderts besaß - weil ich von all den Erkältungen, die meine Vorfahren sich im Lauf der letzten zweihundert Jahre eingehandelt hatten, profitierte.
Diese Überlegung faszinierte mich so sehr, daß ich mitten im Zimmer stehenblieb und meinen Tee schlürfte. Plötzlich klopfte es an der Tür.
Ich seufzte ungeduldig.
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