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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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so heftig, daß ich mich beim Gehen unsicher fühlte; der harte Steinboden unter meinen Füßen erschreckte mich. Das Maßwerk des großen Fensters über dem einstigen Altar hob sich dunkel ab von den weißen Wolken, die der Wind vor sich hertrieb; trübes Mondlicht schien herein.
    Vorne angelangt, blieb ich stehen. Ich mußte mich an der Wand abstützen, mußte einen Halt suchen. Behutsam lehnte ich den Kopf gegen die Wand. Mit geschlossenen Augen wartete ich darauf, daß
es mir besser ging, daß sich der Puls, der heiß in meinen Schläfen pochte, beruhigte.
    Es macht keinen Unterschied, sagte ich mir. Egal, was er ist. Egal, was er sagt.
    Wir sind miteinander verbunden, Sie und ich, durch den Leib eines Mannes... Ja, aber nicht durch Jamie. Nicht durch ihn! schrie es in mir. Ja, du hast ihn genommen, du Scheißkerl! Aber ich habe ihn zurückgeholt, ich habe ihn aus deinen Klauen befreit. Du hast keinen Anteil an ihm! Doch der Schweiß, der mir aus allen Poren brach, und das Geräusch meines keuchenden Atems straften meine Gedanken Lügen.
    War dies der Preis, den ich für den Verlust von Frank zu zahlen hatte? War es mir gegeben, tausend Leben zu retten durch den Verlust dieses einen?
    Ich nahm die dunklen Umrisse des Altars zu meiner Rechten wahr. In diesem Augenblick wünschte ich nichts sehnlicher als die Gegenwart eines höheren Wesens, das mir eine Antwort geben würde. Aber niemand war hier, ich war ganz allein. Die Geister der Toten behielten ihre Meinung für sich.
    Ich versuchte, nicht mehr an Jack Randall zu denken. Wenn mich jemand anders gebeten hätte, wäre ich dann gegangen? Abgesehen von allem anderen, ging es hier auch um Alex Randall. »Ginge es nur darum, würden Sie meinen Bruder auch um seiner selbst willen aufsuchen«, hatte der Hauptmann gesagt. Das würde ich natürlich tun. Konnte ich Alex nur wegen des Mannes, der mich darum bat, meine Hilfe verweigern?
    Ich verweilte lange so, bevor ich mich müde aufrichtete. Meine Hände waren feucht und glitschig. Mein Nacken schmerzte, mein Kopf war schwer, ich fühlte mich so ausgelaugt und schwach, als hätte mich die über der Stadt liegende Epidemie schließlich doch noch heimgesucht.
    Randall war noch da, er wartete geduldig in der kalten Finsternis.
    »Ja«, sagte ich, sobald ich nahe genug bei ihm stand. »In Ordnung. Ich komme morgen vormittag. Wohin?«
    »Ladywalk Wynd«, antwortete er. »Kennen Sie die Gasse?«
    »Ja.« Edinburgh war eine kleine Stadt - es gab nur eine einzige Hauptstraße, die High Street, und zahlreiche enge, schlecht beleuchtete Gäßchen, die davon abzweigten. Ladywalk Wynd zählte zu den armseligeren Gäßchen.

    »Ich werde da sein«, sagte er. »Ich werde Ihnen die versprochenen Auskünfte geben.«
    Er stand auf und ging einen Schritt auf mich zu, dann blieb er stehen und wartete, bis ich mich in Bewegung setzte. Scheinbar wollte er mir nicht zu nahe kommen.
    »Sie haben Angst vor mir, nicht wahr?« sagte ich mit einem tonlosen Lachen. »Glauben Sie, daß ich Sie in einen Giftpilz verwandle?«
    »Nein«, erwiderte er und sah mich ruhig an. »Ich habe keine Angst vor Ihnen, Madam. In Wentworth haben Sie versucht, mir Angst einzujagen, als Sie mir den Tag meines Todes nannten. Aber nachdem Sie mir das gesagt haben, können Sie mich nicht mehr bedrohen, denn wenn ich nächstes Jahr im April sterben werde, dann können Sie mir doch jetzt noch nichts anhaben, nicht wahr?«
    Wenn ich ein Messer bei mir gehabt hätte, hätte ich ihm spontan das Gegenteil bewiesen. Doch die Macht der Prophezeiung lag auf mir und die Last Tausender schottischer Leben. Er war vor mir sicher.
    »Ich halte nur deshalb Abstand, Madam«, fuhr er fort, »weil ich es vorziehe, Sie nicht zu berühren.«
    Ich lachte wieder, diesmal aber war es ein echtes Lachen.
    »Damit, Hauptmann«, sagte ich, »sprechen Sie mir aus der Seele.« Ich drehte mich um und verließ die Kirche, ohne mich weiter um ihn zu kümmern.
    Ich sah keine Notwendigkeit, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, ob er sein Wort halten würde. Er hatte mich aus Wentworth freigelassen, weil er sein Wort gegeben hatte. Sein Wort war für ihn bindend. Jack Randall war ein Ehrenmann.
     
    Was hast du empfunden, als ich Jack Randall meinen Körper überließ? hatte mich Jamie gefragt.
    Wut , hatte ich geantwortet. Übelkeit. Abscheu.
    Ich lehnte mich gegen die Tür des Salons und empfand eben diese Gefühle. Das Kaminfeuer war ausgegangen, der Raum war kalt. Der Geruch des mit Kampfer

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