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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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dichten, buschigen Augenbrauen des Alten waren in den letzten Jahren fast völlig ergraut. Jetzt zog er eine davon so langsam in die Höhe, als würde ihn selbst das erschöpfen. Mit einer knorrigen Hand wies er auf den leeren Stall.
    »Im letzten Monat haben sie die Pferde geschlachtet«, sagte er schlicht. »Und seitdem hat es kaum noch etwas zu essen gegeben.«
    Jamie fuhr hoch und lehnte sich an die Wand. Entsetzt blickte er zu Boden. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, doch sein Körper war steif wie ein Brett.
    »Aye«, sagte er schließlich. »Aye. Haben meine Männer wenigstens ihren gerechten Anteil erhalten? Donas... Donas war recht
groß und müßte... einiges abgegeben haben.« Seine Stimme klang ruhig, doch an der plötzlichen Schärfe in Alecs einäugigem Blick erkannte ich, daß er wie ich spürte, wie mühsam sich Jamie beherrschte.
    Langsam erhob sich der Alte aus dem Heu. Dann legte er tröstend eine Hand auf Jamies Schulter.
    »Donas haben sie am Leben gelassen«, sagte er leise. »Sie haben ihn aufgehoben für Prinz Tcharlach, damit er als triumphierender Sieger in Edinburgh einreiten kann. O’Sullivan hat gemeint, es schickt sich nicht für einen König, daß er... daß er zu Fuß geht.«
    Jamie vergrub das Gesicht in den Händen und stand mit zuckenden Schultern gegen eine Box gelehnt.
    »Ich bin ein Narr«, sagte er, als er keuchend nach Luft rang. »O Gott, was bin ich doch für ein Narr!« Er ließ die Hände sinken, und auf seinem Gesicht zeichneten sich zwischen all dem Reiseschmutz helle Tränenspuren ab. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen, doch seine Augen strömten über, als hätte er jede Gewalt über sich verloren.
    »Der Krieg ist verloren, meine Männer sollen sich abschlachten lassen, die Toten vermodern in den Wäldern, und ich weine um ein Pferd! O Gott!« flüsterte er kopfschüttelnd. »Was bin ich doch für ein Narr!«
    Der Alte seufzte tief. Langsam ließ er seine Hand über Jamies Arm gleiten.
    »Wenigstens kannst du noch weinen, Junge«, sagte er. »Ich habe keine Tränen mehr.«
    Vorsichtig ließ sich Alec auf die Knie sinken und legte sich wieder ins Heu. Jamie verweilte einen Augenblick und sah den alten Mann an. Noch immer strömten ihm die Tränen ungehindert über das Gesicht, doch es sah aus, als würden Regentropfen über polierten Granit fließen. Ohne ein Wort nahm er meinen Arm und führte mich fort.
    An der Stalltür drehte ich mich noch einmal nach Alec um. Er saß reglos da, eine dunkle, gebückte Gestalt, und das blaue Auge war ebenso blind wie das andere.
     
    Die erschöpften Männer hatten auch den letzten Winkel des Hauses mit Beschlag belegt. Im Schlaf suchten sie den nagenden Hunger zu vergessen und das Wissen um die bevorstehende Katastrophe zu
verdrängen. Frauen gab es hier nicht; die Oberhäupter, die mit ihren Damen zum Feldzug aufgebrochen waren, hatten sie in ihr sicheres Heim zurückgeschickt - das Unheil hatte lange Schatten vorausgeworfen.
    Jamie ließ mich mit einer Entschuldigung vor der Tür stehen, die zum Quartier des Prinzen führte. Meine Anwesenheit wäre jetzt keine Hilfe gewesen. Leise ging ich durch die Räume, die von dem schweren Atem der Schlafenden und einer fast greifbaren Verzweiflung erfüllt waren.
    Unter dem Dach fand ich eine kleine Abstellkammer. Da sie mit Gerümpel und ausrangierten Möbeln vollgestopft war, hatte sich hier noch niemand eingenistet. Als ich mich in diesen Hort der Absonderlichkeiten zurückzog, fühlte ich mich wie eine Maus, die sich verkriecht, während draußen in der Welt ungeheure und unerklärbare Gewalten ihr Werk der Zerstörung verrichten.
    Das einzige kleine Fenster zeigte nichts als trüben, grauen Nebel. Mit der Ecke meines Umhangs wischte ich die Scheibe sauber, doch auch danach war der Ausblick nicht klarer. So lehnte ich die Stirn gegen das kühle Gras. Irgendwo dort draußen lag das Schlachtfeld von Culloden, doch ich sah nur die dunklen Umrisse meines Spiegelbilds.
    Inzwischen hatte die Nachricht vom grausamen, rätselhaften Tod des Herzogs von Sandringham auch Prinz Charles erreicht. Als wir uns auf unserem Weg nach Norden sicher genug fühlten und es wieder wagten, mit Passanten zu reden, war das Ereignis in aller Munde gewesen. Was genau hatten wir eigentlich angerichtet? Hatten wir in jener Nacht die Pläne der Jakobiten ein für allemal durchkreuzt, oder hatten wir Prinz Charles ungewollt vor einer Falle der Engländer gerettet? Eine weitere Frage auf meiner

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