Die Geliehene Zeit
in den Mund geschaut und das Weiß seiner Augen untersucht.
Er litt an Skorbut und anderen Symptomen von Unterernährung, und das hatte ich auch gesagt.
»Unsinn!« hatte Sheridan empört erwidert. »Seine Hoheit kann doch nicht am... Jucken erkrankt sein wie ein gewöhnlicher Bauer.«
»Er ißt aber wie einer«, hatte ich entgegnet. »Eigentlich ernährt er sich sogar noch schlechter.« Während sich die Bauern Tag für
Tag mit Kohl und Zwiebeln zufriedengeben mußten - weil sie nichts anderes hatten -, aßen der König und seine Berater, die für solch derbe Kost nur Verachtung übrig hatten, nichts als Fleisch. Fast jedes der Gesichter, die mich so vorwurfsvoll anblickten, zeigte Anzeichen von Mangelerscheinungen. Lockere oder fehlende Zähne, blutendes Zahnfleisch - und den eiternden, juckenden Ausschlag, der die königliche Haut in so verschwenderischem Ausmaß zierte.
Eigentlich war ich nicht bereit, meinen kostbaren Vorrat an Hagebutten und getrockneten Beeren zu opfern, aber letztlich erbot ich mich dann doch, Seiner Hoheit daraus einen Tee zu bereiten. Man lehnte mein Angebot jedoch nicht sehr höflich ab und ließ mich wissen, daß man Archie Cameron mit seiner Schüssel Blutegel und seiner Lanzette herbeigerufen hätte, um dem königlichen Jukken mit einem Aderlaß Linderung zu verschaffen.
»Ich wüßte schon, wie ich es anfangen würde«, sagte ich jetzt zu Jamie. Das Herz klopfte mir bis zum Halse, so daß ich kaum Luft bekam. »Ich würde ihm ein Elexier mixen, und ich glaube, ich könnte ihn bewegen, es zu trinken.«
»Damit er stirbt, nachdem er deine Medizin getrunken hat? Himmel, Claire, sie würden dich auf der Stelle umbringen!«
Ich schob mir die Hände unter die Achselhöhlen, um sie zu wärmen.
»Sp... spielt das eine Rolle?« Verzweifelt bemühte ich mich, meiner Stimme einen festen Klang zu geben. Denn in Wahrheit tat es das weiß Gott. Gerade im Augenblick war mir mein Leben weitaus kostbarer als die Hunderte, die ich durch diese Tat vielleicht retten würde. Zitternd vor Angst ballte ich die Hände zu Fäusten.
Im nächsten Augenblick war Jamie mir zu Hilfe geeilt. Da meine Beine unter mir nachgaben, brachte er mich zu der Bank, wo wir uns gemeinsam setzten und er mich fest umschlang.
»Du hast den Mut einer Löwin, mo duinne «, flüsterte er mir ins Ohr. »Einer Bärin oder einer Wölfin. Aber ich lasse nicht zu, daß du das tust.«
Das Zittern ließ etwas nach, aber mir war immer noch kalt, und bei dem Gedanken an das, was ich da vorschlug, wurde mir übel.
»Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg«, sagte ich. »Es gibt kaum noch etwas zu essen, und das, was da ist, wird dem Prinzen
vorgesetzt. Da dürfte es eigentlich nicht schwer sein, unbemerkt etwas in seine Gerichte zu mischen - vor allem, wo es hier drunter und drüber geht.« Damit hatte ich recht, denn in jedem Raum, auf dem Boden und auf Tischen, lagen Soldaten und schliefen, zum Teil sogar in Stiefeln und mit Waffen, da sie zu müde gewesen waren, sich auszuziehen. Außerdem herrschte im Haus ein reges Kommen und Gehen. Daher wäre es die einfachste Sache der Welt, einen Dienstboten lange genug abzulenken, um das tödliche Pulver unter die Abendmahlzeit Seiner Majestät zu mischen.
Auch wenn mein Entsetzen nicht mehr ganz so lebendig war, schien mein Vorschlag doch wie giftiger Hauch im Raum zu schweben, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Mit Charles Stuarts Tod wäre die Erhebung noch nicht vorüber; dazu hatte sie schon zu weite Kreise gezogen. Lord George Murray, Balmerino, Kilmarnock, Lochiel, Clanranald - wir alle waren Abtrünnige. Wir hatten unser Leben verwirkt, und unser Besitz würde an die Krone fallen. Die Hochlandarmee war zerrüttet, und ohne ihre Galionsfigur würde sie sich im Handumdrehen auflösen. Die Engländer hingegen, die wir in Preston und Falkirk das Fürchten gelehrt hatten, würden keine Minute zögern, die Flüchtigen zu verfolgen, ihre Schmach zu rächen und ihre Ehre mit Blut reinzuwaschen.
Es war unwahrscheinlich, daß Henry von York, Charles’ frommer jüngerer Bruder, der bereits durch geistliche Gelübde gebunden war, anstelle von Charles für die Wiedereinsetzung der Stuarts kämpfen würde. Wie man es drehte und wendete, vor uns lagen Unheil und Elend, und wir konnten einzig das Leben jener Männer retten, die morgen auf dem Schlachtfeld sterben sollten.
Selbstherrlich hatte Charles die Entscheidung getroffen, in Culloden zu kämpfen - so wie er den Rat
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