Die Geliehene Zeit
konnte die Attacke im letzten Moment abwehren.
Die Klinge blitzte noch einmal auf, und dann war sie zwischen den Kämpfenden verschwunden. Sie rangen, ineinander verschlungen wie Liebende. Die Luft war von dem Geruch nach Schweiß und Wut erfüllt. Plötzlich eine hastige Bewegung und ein Ruck, ein angestrengtes Stöhnen und ein Schmerzenslaut. Mit verzerrtem Gesicht taumelte Dougal nach hinten. Aus seiner Kehle ragte der Griff des Dolches.
Jamie stützte sich keuchend auf den Tisch. Seine Augen waren dunkel vor Entsetzen, sein Haar schweißnaß, und sein aufgerissenes Hemd saugte sich mit dem Blut aus seiner Wunde voll.
Dougal stieß einen schrecklichen Laut aus, einen röchelnden Entsetzensschrei. Er taumelte, doch Jamie fing ihn auf und wurde
von dem Gewicht selbst in die Knie gezwungen. Dougals Kopf lag auf seiner Schulter, und Jamie hielt seinen Pflegevater fest in den Armen.
Ich ließ mich neben den beiden auf die Knie sinken, um zu sehen, ob ich Dougal noch helfen konnte. Aber es war zu spät. Der mächtige Körper erschlaffte, bäumte sich auf und glitt aus Jamies Armen. Zuckend lag Dougal auf dem Boden. Er rang um Atem wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Jamie hatte Dougals Kopf auf sein Knie gebettet. Dougals Gesicht war verzerrt, dunkelrot, und die Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. Er bewegte die Lippen, als wollte er mit letzter Kraft etwas sagen, doch aus seiner durchschnittenen Kehle kam nichts außer einem bluterstickten Krächzen.
Jamie war aschgrau. Offensichtlich wußte er, was Dougal uns sagen wollte. Mit aller Macht versuchte er, den zuckenden Körper still zu halten. Nach einem letzten gewaltigen Aufbäumen und einem furchterregenden Rasseln blieb Dougal MacKenzie reglos liegen. Noch immer hatte Jamie seine Hände so fest um Dougals Schultern gekrallt, als wollte er ihn daran hindern, sich zu erheben.
»Heiliger Michael, schütze uns!« Das heisere Flüstern kam von der Türschwelle. Dort stand Willie Coulter MacKenzie, einer von Dougals Männern, und blickte schreckensbleich auf den Leichnam seines Clanführers. Mit starrem Blick bekreuzigte sich der Mann.
»Willie!« Jamie stand auf und strich sich zitternd über das Gesicht. »Willie!« Der Angesprochene wirkte wie betäubt. Fassungslos starrte er Jamie an.
»Ich brauche ein paar Stunden, Mann!« Jamie legte Willi Coulter die Hand auf die Schulter und schob ihn aus dem Raum. »Ein paar Stunden, um meine Frau in Sicherheit zu bringen. Dann komme ich zurück und gebe euch Rechenschaft. Du hast mein Wort darauf, bei meiner Ehre. Aber diese paar Stunden brauche ich noch. Läßt du sie mir, bevor du etwas sagst?«
Willie leckte sich über die trockenen Lippen und blickte außer sich vor Angst von seinem Anführer zu dessen Neffen. Schließlich nickte er. Augenscheinlich hatte er keine Ahnung, was er sonst hätte tun können.
»Gut!« Jamie schluckte schwer und wischte sich das Gesicht mit seinem Plaid ab. Dann klopfte er Willie auf die Schulter. »Bleib du hier. Bete für seine Seele«, er wies auf die reglose Gestalt am Boden,
»und für meine.« Er drängte sich an Willie vorbei, griff nach seinem Dolch, zog ihn aus der Tischplatte und schob mich aus der Tür und die Treppe hinunter.
Auf halbem Weg blieb er stehen und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen die Wand. Sein Atem ging so schwer, als würde er gleich das Bewußtsein verlieren, und voller Angst legte ich ihm die Hand auf die Brust. Sein Herz schlug wie wild, und er zitterte. Doch nach einem Augenblick richtete er sich wieder auf, nickte mir zu und nahm meinen Arm.
»Ich brauche Murtagh«, sagte er.
Wir fanden ihn vor der Tür. Er kauerte unter einem Dachvorsprung und hatte sich zum Schutz vor dem Schneeregen in sein Plaid gehüllt. Fergus hockte neben ihm und döste vor sich hin.
Murtagh warf einen Blick auf Jamies Gesicht und erhob sich, zu allem bereit.
»Ich habe Dougal MacKenzie umgebracht«, sagte Jamie ohne weitere Vorrede.
Murtaghs Gesicht wurde vollkommen ausdruckslos. Doch schon bald nahm es wieder die gewohnte Miene mürrischer Verbissenheit an.
»Aye«, sagte er. »Und was tun wir jetzt?«
Jamie griff in seine Felltasche und beförderte einen zusammengefalteten Bogen zutage. Mit zitternden Fingern nestelte er daran herum, bis ich ihm das Papier aus der Hand nahm und es im Schutz der Dachgauben auseinanderfaltete.
»Übertragungsurkunde« stand oben auf dem Bogen. In knappen Worten wurde darin das unter dem Namen Broch Tuarach bekannte Anwesen einem
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