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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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auf den Schultern tanzten. Auch Dougal litt an Unterernährung. Scharf traten seine Wangenknochen hervor, und die brennenden Augen lagen tief in den Höhlen.
    »Ich gebe dir keine Schuld, mein Junge!« Plötzlich klang seine Stimme müde, und mir wurde bewußt, daß er in den Fünfzigern war. »Es ist nicht dein Fehler, Jamie. Sie hat dich in ihren Bann geschlagen, das sieht doch jeder!« Verächtlich verzog er den Mund, als er den Blick wieder auf mich richtete.
    »Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie sie dich bearbeitet hat. Mit der gleichen Hexerei hat sie es seinerzeit auch bei mir versucht.« Mir kam es so vor, als würde sein Blick mich versengen. »Eine verlogene, mordlüsterne Schlampe wie die packt einen Mann
bei seinem Schwanz und führt ihn in den Untergang. Das ist der Zauber, den sie anwenden, Junge - sie und diese andere Hexe. Sie zerren dich in ihr Bett, und wenn du den Kopf zum Schlummer auf ihre Brust legst, stehlen sie dir die Seele. Sie stehlen dir die Seele und verschlingen deine Männlichkeit, Jamie.«
    Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Noch immer starrte er mich an, die Hand unerbittlich um den Schwertgriff geschlossen. »Tritt beiseite, Junge. Ich werde dich aus den Klauen dieser englischen Hure befreien!«
    Jamie stellte sich vor mich, so daß ich Dougal nicht mehr sah.
    »Du bist müde, Dougal«, sagte er beruhigend. »Du bist müde und siehst Gespenster. Geh nach unten. Ich werde...«
    Doch weiter kam er nicht. Dougal achtete nicht auf ihn. Die tiefliegenden Augen unverwandt auf mein Gesicht gerichtet, zog das Oberhaupt der MacKenzies seinen Dolch aus dem Gürtel.
    »Ich schneide dir die Kehle durch«, raunte er mir zu. »Das hätte ich schon tun sollen, als du mir das erstemal begegnet bist. Das hätte uns allen viel Kummer erspart.«
    Da mochte er vielleicht sogar recht haben. Trotzdem hatte ich nicht die Absicht, ihm meine Kehle darzubieten. Rasch trat ich drei Schritte nach hinten, bis ich gegen den Tisch stieß.
    »Zurück, Mann!« Jamie hatte sich vor mich geworfen und hielt schützend den Arm erhoben. Aber Dougal setzte zum Sprung an.
    Das Oberhaupt der MacKenzies schüttelte den mächtigen Kopf.
    »Sie gehört mir«, sagte er heiser. »Hexe! Verräterin! Zur Seite, Junge. Ich will dir keinen Schaden zufügen, aber, bei Gott, wenn du sie schützen willst, dann töte ich auch dich.«
    Er drängte sich an Jamie vorbei und packte mich am Arm. Trotz der Erschöpfung und seines Alters war er gut bei Kräften, und seine Finger gruben sich tief in mein Fleisch.
    Ich schrie vor Schmerz und wehrte mich verzweifelt, als er mich zu sich heranzog. Doch er packte mich an den Haaren und zwang meinen Kopf nach hinten. Heiß und sauer blies mir sein Atem ins Gesicht. Mit einem Aufschrei schlug ich nach ihm und grub ihm die Nägel in die Wange.
    Im nächsten Augenblick rammte ihm Jamie mit aller Wucht die Faust in die Rippen. Pfeifend entwich die Luft aus Dougals Lungen. Bei Jamies zweitem Schlag, einem gezielten Hieb mitten auf die Schulter, lockerte sich sein Griff in meinem Haar. Ich taumelte und
fiel nach hinten gegen den Tisch, wobei ich vor Schreck und Schmerz aufstöhnte.
    Dougal wirbelte herum, um sich Jamie zu stellen, den Dolch noch erhoben.
    »So soll es denn sein«, sagte er schwer atmend. Er verlagerte sein Gewicht, um eine möglichst vorteilhafte Stellung zu finden. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, du verdammter Fraser-Sproß. Verrat liegt dir im Blut. Komm her zu mir, Flegel! Um deiner Mutter willen schenke ich dir einen schnellen Tod.«
    Die kleine Dachstube ließ keinen Raum für Manöver. Kein Ort, an dem man ein Schwert ziehen konnte. Da Jamies Dolch noch immer in der Tischplatte steckte, war er praktisch unbewaffnet. Dennoch ging auch er in Kampfstellung und blickte wachsam auf die Klinge, die ihn bedrohte.
    »Leg den Dolch nieder, Dougal«, sagte er. »Da du meine Mutter erwähnt hast - hör mich an, um ihretwillen.«
    Anstatt zu antworten, wagte Dougal, die scharfe Klinge aufwärts gerichtet, einen Ausfall.
    Jamie sprang zur Seite. Im nächsten Augenblick hechtete er zur anderen, um Dougals nächstem Ausfall auszuweichen. Zwar verfügte Jamie über die Beweglichkeit der Jugend, doch Dougal führte die Waffe.
    Mit einem Satz war Dougal bei Jamie, und der Dolch traf Jamie seitlich, fuhr durch sein Hemd und hinterließ einen dunklen Kratzer in seiner Haut. Scharf zog Jamie die Luft ein. Dann sprang er nach hinten und griff nach Dougals Handgelenk. Er

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