Die Geliehene Zeit
vor. »Ich wollte wissen, ob es ihm gelungen war - ob er seine Männer retten konnte oder ob er sich für nichts und wieder nichts geopfert hat. Und ich wollte es Brianna erzählen. Auch wenn sie es mir jetzt nicht - und vielleicht sogar nie - glauben kann: Jamie war ihr Vater. Ich mußte es ihr sagen.«
»Ja, das kann ich verstehen. Aber das war nicht möglich, solange Dr. Randall, Ihr Ehe... äh, ich meine Frank«, verbesserte er sich, »noch am Leben war.«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ist schon gut; Sie können
Frank ruhig meinen Mann nennen. Schließlich war er das viele Jahre lang. Und Brianna hat recht, in gewisser Weise war er ihr Vater.« Sie blickte auf ihre Hände und spreizte die Finger, so daß auf den beiden Ringen, dem silbernen und dem goldenen, das Licht der Flammen tanzte. Plötzlich hatte Roger eine Eingebung.
»Der Ring«, sagte er und trat wieder auf sie zu. »Der silberne Ring. Trägt er ein Zeichen vom Silberschmied? Im achtzehnten Jahrhundert hatten einige von ihnen ihr eigenes Symbol. Das wäre zwar kein Beweis, aber es könnte uns weiterhelfen.«
Claire wirkte verdutzt. Schützend legte sie die linke Hand über den breiten Silberreif und strich mit den Fingern über die Hochlandornamente und die Distelblüten.
»Ich weiß es nicht, ich habe nie nachgesehen.« Unter langsamem Drehen schob sie den Ring über den Knöchel. Zwar waren ihre Finger schlank, doch von dem langen Tragen hatte sich eine Mulde in ihrem Fleisch gebildet.
Prüfend betrachtete sie die Innenseite des Rings. Dann kam sie damit zum Tisch, stellte sich neben Roger und hielt den Reif unter die Lampe.
»Da ist etwas eingraviert«, stellte sie verwundert fest. »Ich habe gar nicht gewußt, daß er... o mein Gott!« Ihre Stimme brach, und der Ring fiel ihr aus den Fingern und rollte davon. Roger fing ihn rasch auf, doch sie hatte sich schon abgewandt. Er wußte, daß sie ihr Gesicht vor ihm verbergen wollte, denn offensichtlich hatte sie die Selbstbeherrschung, die sie den ganzen Tag und auch in der Auseinandersetzung mit Brianna gewahrt hatte, nun verlassen.
Eine Weile stand Roger da und fühlte sich ungeheuer töricht und fehl am Platze. Obwohl er den Eindruck hatte, in eine Privatsphäre einzudringen, hielt er den Reif ins Licht und las die darin eingravierten Worte.
» Da mi basia mille...« Claire sprach den Satz, nicht Roger. Ihre Stimme zitterte, und er wußte, daß sie weinte, doch allmählich schien sie die Fassung zurückzugewinnen. Sie konnte es sich nicht erlauben, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, denn was sie da eingedämmt hielt, war so übermächtig, daß es sie hätte fortreißen können.
»Von Catull, aus einem Liebesgedicht. Hugh... Hugh Munro hat mir das Gedicht zur Hochzeit geschenkt. Es stand auf dem Bogen, in den ein Stück Bernstein eingeschlagen war. Ein Bernstein
mit einer eingeschlossenen Libelle.« Hilflos ließ sie die Hände sinken. »Ich kann nur einen Teil des Gedichts auswendig, da mi basia mille...« Dann übersetzte sie: »Gib der Küsse mir tausend und hundert darauf, hernach wieder tausend, und noch einmal hundert.«
Nachdem sie geendet hatte, verharrte sie reglos. Dann wandte sie ihm langsam das Gesicht zu. Ihre Wangen waren gerötet und tränenüberströmt und die Wimpern verklebt, doch sie wirkte unnatürlich ruhig.
»Hernach wieder tausend und noch einmal hundert«, sagte sie mit einem kläglichen Versuch zu lächeln. »Aber kein Zeichen des Silberschmieds. Also wieder kein Beweis.«
»Doch.« Roger hatte das Gefühl, als würde ihm ein Kloß in der Kehle sitzen, und rasch räusperte er sich. »Sogar der endgültige Beweis. Zumindest für mich.«
In der Tiefe ihrer Augen leuchtete es auf, und ein freudiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dann strömten ihr plötzlich wieder Tränen über die Wangen, und sie war nicht mehr in der Lage, die Flut aufzuhalten.
»Tut mir leid«, sagte sie nach einer Weile. Sie saß auf dem Sofa und hatte das Gesicht in einem der überdimensionalen weißen Taschentücher des Reverend vergraben. Roger hockte dicht neben ihr. Plötzlich kam sie ihm sehr klein und zerbrechlich vor. Am liebsten hätte er ihr über die Haare gestrichen, doch er brachte nicht den Mut dazu auf.
»Ich hätte nicht gedacht... das hätte ich mir nicht träumen lassen«, sagte sie, während sie sich die Nase putzte, »daß es mir soviel bedeutet, wenn mir jemand glaubt.«
»Auch wenn es nicht Brianna ist?«
Sie zog eine Grimasse und strich sich die
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