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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Haare zurück. Dann richtete sie sich auf.
    »Das war der Schock«, brachte sie zur Verteidigung ihrer Tochter vor. »Sie konnte einfach nicht anders. Sie hat ihren Vater - ich meine Frank - sehr geliebt. Mir war klar, daß das alles zuviel für sie sein könnte. Aber wenn sie erst mal Zeit hat, darüber nachzudenken, wenn die Fragen kommen...« Ihre Stimme erstarb, und unter dem Gewicht ihrer Worte sank sie in sich zusammen.
    Als wollte sie sich ablenken, schweifte ihr Blick zum Tisch, wo der unberührte Stapel Bücher lag.

    »Seltsam, nicht wahr? Da lebt man zwanzig Jahre lang mit einem Kenner der Jakobiten zusammen und wirft keinen Blick in seine Bücher, aus Angst vor dem, was man darin lesen könnte.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist - das Wissen hätte ich nicht ertragen. Aber vergessen konnte ich sie auch nicht. Und deshalb mußte ich sie eine Zeitlang in einem Winkel meines Gedächtnisses vergraben.«
    Doch diese Zeit war jetzt vorüber, und eine neue hatte begonnen. Roger nahm eines der Bücher vom Stapel und wog es in der Hand, als wäre damit eine Verantwortung verbunden. Vielleicht würde es Claire wenigstens von Brianna ablenken.
    »Möchten Sie, daß ich es Ihnen erzähle?« fragte er ruhig.
    Sie zögerte, doch dann nickte sie rasch, als ob sie ihre Entscheidung bedauern könnte, wenn sie noch länger darüber nachdachte.
    Er begann zu sprechen. Dabei brauchte er sich nicht auf die Bücher zu stützen, denn die Fakten waren jedem Historiker, der sich mit dieser Periode befaßte, bekannt. Trotzdem preßte er Frank Randalls Buch wie einen Schutzschild an die Brust.
    »Francis Townsend«, setzte er an, »der Mann, der Carlisle für Charles eroberte, wurde gefangengenommen. Man machte ihm dem Prozeß wegen Hochverrats, hängte ihn und weidete ihn aus.«
    Er hielt inne, doch das Gesicht vor ihm hätte nicht weißer werden können, als es ohnehin schon war.
    »MacDonald von Keppoch und sein Bruder Donald sind zu Fuß aufs Schlachtfeld gestürmt und wurden von den englischen Kanonen niedergestreckt. Lord Kilmarnock wurde auf dem Schlachtfeld verwundet, aber Lord Ancrum, der die Gefallenen zählte, erkannte ihn und rettete ihn vor Cumberlands Soldaten. Einen großen Gefallen tat er ihm damit nicht, denn im darauffolgenden August wurde Kilmarnock, zusammen mit Balmerino, auf dem Tower Hill geköpft.« Roger zögerte. »Kilmarnocks Sohn ging im Schlachtgetümmel verloren, seinen Leichnam fand man nie.«
    »Ich mochte Balmerino immer gern«, murmelte sie. »Und der alte Fuchs? Der Herr von Lovat?« Fast schon flüsterte sie. »Der Schatten eines Beiles...«
    »Ja.« Ohne es zu merken, strich Roger mit den Fingern über den Schutzumschlag. »Er wurde wegen Hochverrats angeklagt und zum Tod durch das Beil verurteilt. Aber es wird überliefert, daß er sehr würdevoll starb.«

    Plötzlich kam Roger eine Anekdote in den Sinn, und er zitierte aus dem Gedächtnis, so gut er konnte. »Auf dem Weg zum Tower, unter dem Geschrei und dem Gejohle des Pöbels, gab sich das Oberhaupt des Fraser-Clans erstaunlich unbekümmert. Von dem Unrat, der an seinem Kopf vorbeiflog, ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen, und er wirkte fast schon gut gelaunt. Als eine ältere Frau ihm zurief: ›Man wird dir den Kopf abhacken, du alter schottischer Gauner!< beugte er sich aus dem Karren und gab leutselig zur Antwort: ›Das wird sich wohl kaum vermeiden lassen, du häßliches englisches Weibsstück.‹«
    Claire lächelte, doch dabei entrang sich ihr ein Laut, der weder Lachen noch Weinen war.
    »Als man ihn zum Richtblock führte«, fuhr Roger vorsichtig fort, »bat er darum, die Klinge prüfen zu dürfen, und wies den Scharfrichter an, seine Arbeit gut zu machen. Er sagte zu dem Mann: >Leiste ganze Arbeit! Wenn nicht, werde ich sehr zornig werden.‹«
    Unter Claires Lidern quollen Tränen hervor, die im Schein des Feuers wie Diamanten glitzerten. Roger streckte die Hand nach ihr aus, doch als sie das spürte, schüttelte sie mit geschlossenen Augen den Kopf.
    »Es geht mir gut. Fahren Sie fort.«
    »Vielmehr gibt es nicht zu berichten. Einige haben überlebt. Lochiel konnte nach Frankreich entkommen.« Sorgsam hütete er sich, das Schicksal von Archibald Cameron, Lochiels Bruder, zu erwähnen. Der Arzt war in Tyburn gehängt, ausgeweidet und geköpft worden. Man hatte ihm das Herz aus dem Leibe gerissen und es in die Flammen geworfen. Doch Claire schien diese Auslassung nicht zu

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