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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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wissen müssen. Aber offensichtlich kam sie zu dem Urteil, daß ihre Besucher respektabel waren, denn sie wurde ein wenig zugänglicher.

    »Wenn Sie Fragen zu Mrs. Edgars haben, sollten Sie mit Dr. McEwan sprechen. Ich werde mal nachsehen, ob er Zeit für Sie hat, wenn es Ihnen recht ist.«
    Als sie Anstalten machte aufzustehen, hielt Claire sie zurück.
    »Haben Sie ein Foto von Mrs. Edgars?« Als Mrs. Andrews sie verwundert anblickte, lächelte Claire sie liebenswürdig an. »Wir wollen doch nicht die kostbare Zeit Ihres Direktors verschwenden. Womöglich handelt es sich um die falsche Person«, erklärte sie.
    Mrs. Andrews blinzelte verwirrt. Doch dann nickte sie und begann, in ihrem Schreibtisch zu kramen.
    »Ja, wo sind sie denn? Gestern habe ich sie noch in der Hand gehabt... also können sie nicht weit sein... ach ja, da haben wir sie!« Sie zog ein Album voller Schwarzweißfotos heraus und blätterte es hastig durch.
    »Hier«, sagte sie. »Da ist sie bei einer Ausgrabung vor der Stadt. Allerdings kann man ihr Gesicht nicht besonders gut sehen. Warten Sie, da müssen doch noch andere sein...«
    Erneut begann sie, vor sich hin murmelnd, in den Schubladen zu wühlen. Währenddessen blickte Roger neugierig über Claires Schulter auf das Bild, das Mrs. Andrews auf den Schreibtisch gelegt hatte. Der Schnappschuß zeigte eine Gruppe von Menschen inmitten von Jutesäcken und Werkzeugen vor einem Landrover. Einige hatten sich von der Kamera abgewandt, doch Claire streckte ohne zu zögern den Finger aus und tippte auf eine große junge Frau mit langem, glattem, blondem Haar. Dabei nickte sie Roger stumm zu.
    »Wie können Sie da so sicher sein?« fragte Roger leise.
    »Was ist, mein Guter?« Mrs. Andrews blickte ihn geistesabwesend über ihren Brillenrand hinweg an. »Ach, Sie meinen nicht mich! Hier habe ich noch eins, auf dem sie ein wenig deutlicher zu erkennen ist.« Triumphierend klatschte sie das zweite Foto auf das erste.
    Es zeigte einen älteren Mann mit einer Halbbrille und dieselbe blonde Frau, die sich über einen Tisch beugte, auf dem etwas lag, das auf den ersten Blick wie eine Sammlung verrosteter Autoersatzteile aussah, aber es handelte sich wohl zweifellos um kostbare Fundgegenstände. Zwar hing ihr eine Strähne ins Gesicht, und sie hatte den Kopf dem älteren Mann zugewandt, doch man erkannte deutlich die kurze, gerade Nase, das weiche runde Kinn und den schön geschwungenen Mund. Sie hatte die Augen gesenkt, so daß
sie unter den dichten langen Wimpern verborgen waren. Im letzten Augenblick unterdrückte Roger einen bewundernden Pfiff. Vorfahrin oder nicht, diese Frau war eine Wucht, dachte er respektlos.
    Claire nickte derweilen schweigend. Sie war noch blasser als sonst, doch sie dankte Mrs. Andrews mit ihrer gewohnten Selbstbeherrschung.
    »Ja, das ist sie. Nun würden wir doch gern mit dem Direktor sprechen, wenn es sich ermöglichen läßt.«
    »Dann werde ich ihn fragen, meine Liebe. Aber darf ich wissen, um was es sich handelt?«
    Roger öffnete den Mund, um eine Ausrede zu stammeln, doch noch ehe er etwas herausbrachte, sprang Claire in die Bresche.
    »Wir kommen aus Oxford«, erklärte sie. »Mrs. Edgars hat sich im Fachbereich Altertumsforschung um ein Stipendium beworben und in ihrem Antrag dieses Institut als Referenz angegeben. Wenn Sie also so nett wären...«
    »Oh, ich verstehe.« Mrs. Andrews wirkte beeindruckt. »Man bedenke, Oxford! Ich frage Dr. McEwan, ob er Sie gleich empfangen kann.«
    Nach einem flüchtigen Klopfen verschwand sie hinter einer weißgetäfelten Tür. Roger beugte sich vor und flüsterte Claire ins Ohr: »Aber in Oxford gibt es doch gar keinen Fachbereich für Altertumsforschung, das wissen Sie genau.«
    »Sie wissen das«, erwiderte sie würdevoll, »und ich, wie Sie eben so klug festgestellt haben, weiß es auch. Aber viele Menschen wissen es nicht. Mrs. Andrews beispielsweise.«
    Langsam ging die Tür wieder auf.
    »Dann wollen wir nur hoffen, daß hier alle so unbedarft sind wie diese Dame«, seufzte Roger, während er sich die Stirn abwischte. »Oder daß Ihr Einfallsreichtum Sie nicht im Stich läßt.«
    Claire stand auf und lächelte Mrs. Andrews zu.
    »Mich? Die ich für den König von Frankreich in die Seelen meiner Mitmenschen geblickt habe?« flüsterte sie. »Dagegen ist dies ein Kinderspiel.«
    Roger verbeugte sich belustigt und wies auf die Tür. »Après vous, Madame!«
    Alls sie vortrat, fügte er leise hinzu: »Après vous, le déluge .« Sie

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