Die Geliehene Zeit
Heimat. Auch gab es eine große Anzahl Jakobiten, die - so hatte Jamie mir erzählt - ihrem König ins Exil gefolgt waren und sich nun in Frankreich oder in Italien durchschlugen und auf die Wiedereinsetzung warteten.
»Sie reden unablässig davon«, meinte er. »Meist zu Hause, nicht in den Tavernen. Und deshalb steckt auch nichts dahinter. Erst wenn in der Schenke darüber gesprochen wird, wird’s ernst.«
»Sag mir«, forderte ich ihn auf, während er sich den Staub vom Rock bürstete. »Kommen alle Schotten mit politischer Bildung zur Welt, oder bist du eine Ausnahme?«
Er lachte kurz auf, wurde aber gleich wieder ernst, als er den riesigen Schrank öffnete, um seinen Rock hineinzuhängen. In dem breiten, nach Zedern duftenden Hohlraum sah das Gewand abgetragen und ziemlich kläglich aus.
»Nun, Sassenach, ich weiß es nicht. Da ich nun mal vom Stamm der MacKenzies und der Frasers bin, hatte ich kaum eine andere Wahl. Und nach einem Jahr in der französischen Gesellschaft und zwei Jahren in der Armee hat auch der Dümmste begriffen, daß das, was gesagt wird, nicht das gleiche ist wie das, was gemeint ist. Doch davon einmal abgesehen - in Zeiten wie diesen wirst du keinen Gutsherrn oder Kätner finden, der sich den Dingen, die da kommen werden, entziehen kann.«
»Kommen werden.« Was sollte kommen? fragte ich mich. Was kommen würde , falls unsere Bemühungen in Frankreich scheitern sollten, war ein bewaffneter Aufstand unter der Führung des Sohnes des verbannten Königs, Prinz Charles Edward Stuart, um die Stuarts wieder auf den Thron zu bringen.
»Bonnie Prince Charlie«, flüsterte ich vor mich hin. Er befand sich jetzt hier, in derselben Stadt, vielleicht nicht einmal weit entfernt von mir. Was für ein Mensch er wohl war? Wenn ich an ihn dachte, hatte ich stets das bekannte historische Porträt vor Augen: ein gutaussehender, leicht feminin wirkender junger Mann um die sechzehn mit weichen rosafarbenen Lippen und gepudertem Haar. Und die Phantasiegemälde, die denselben Mann darstellten, nur in
einer kräftigeren Ausgabe, wie er, ein Breitschwert schwingend, an der Küste Schottlands landet.
Ein Schottland, das er in dem Bestreben, es für seinen Vater und sich zurückzuerobern, zerstören und verwüsten sollte. Obwohl er zum Scheitern verdammt war, sollte er genügend Unterstützung erhalten, um das Land zu spalten und seine Anhänger durch einen Bürgerkrieg bis hin zum blutigen Ende auf dem Schlachtfeld von Culloden zu führen. Anschließend würde er zurück in das sichere Frankreich fliehen, während seine Feinde an den Zurückgebliebenen Vergeltung übten.
Wir waren hier, um das Unheil zu verhindern. Dieser Gedanke wirkte in dem Frieden und Luxus, den Jareds Haus uns bot, unwirklich. Wie hält man eine Rebellion auf? Wenn Revolten in Tavernen geschürt werden, lassen sie sich vielleicht über Abendeinladungen verhindern. Achselzuckend betrachtete ich mein Spiegelbild, blies mir eine verirrte Locke aus der Stirn und ging nach unten, um mich mit der Köchin anzufreunden.
Die Dienstboten, die mir zunächst angstvolles Mißtrauen entgegengebracht hatten, erkannten bald, daß ich keinerlei Absicht hegte, mich in ihre Arbeit einzumischen, und es machte sich unter ihnen eine Atmosphäre wachsamer Gehorsamkeit breit. In meiner Übermüdung hatte ich bei unserer Ankunft zunächst etwa zwölf gezählt, die in der Eingangshalle zur Begutachtung angetreten waren. Mitsamt dem Pferdeknecht, dem Stallburschen und dem Küchenjungen, die ich in dem allgemeinen Durcheinander übersehen hatte, waren es jedoch sechzehn. Zuerst ließ dies meine Hochachtung vor Jareds geschäftlichem Erfolg um ein Vielfaches wachsen, bis ich erfuhr, wie schlecht die Dienstboten bezahlt wurden: Ein Lakai bekam jährlich ein neues Paar Schuhe sowie zwei Livres, die Haus-und Küchenmädchen erhielten etwas weniger, so erhabene Persönlichkeiten wie Madame Vionnet, die Köchin, und Magnus, der Butler, ein wenig mehr.
Während ich mich mit dem Haushalt vertraut machte und alles Wissenswerte sammelte, was ich aus dem Klatsch der Dienstmädchen aufschnappen konnte, war Jamie täglich mit Jared unterwegs, besuchte Kunden, traf Leute und bereitete sich darauf vor, »Seiner Hoheit zu Diensten« zu sein, indem er Bekanntschaften schloß, die für einen Prinz im Exil von Nutzen sein konnten. Unter unseren
zukünftigen Abendgästen konnten wir eventuell Verbündete - oder Gegner - finden.
»St. Germain?« wiederholte ich fragend, als
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