Die Geliehene Zeit
ich den Namen aus Marguerites Geschwätz heraushörte, während sie den Parkettboden bohnerte. »Der Comte de St. Germain?«
» Oui , Madame.« Marguerite war ein kleines, rundes Mädchen mit einem eigenartig flachen Gesicht und hervorquellenden Augen, die ihr das Aussehen eines Steinbutts gaben. Sie war jedoch freundlich und willens, alles recht zu machen. Jetzt spitzte sie die Lippen, als wollte sie etwas wirklich Skandalöses mitteilen, und ich sah sie so aufmunternd wie möglich an.
»Der Comte hat einen sehr schlechten Ruf, Madame«, erklärte sie bedeutungsvoll.
Da Marguerite dies von beinahe jedem Abendgast behauptete, runzelte ich die Stirn und wartete auf Einzelheiten.
»Er hat seine Seele dem Teufel verkauft, müssen Sie wissen«, gestand sie mit gesenkter Stimme und blickte sich um, als lauere der betreffende Herr hinter dem Kaminsims. »Er zelebriert die Schwarze Messe, bei der die Gottlosen das Blut und das Fleisch unschuldiger Kinder miteinander teilen.«
Da hast du dir ja ein ganz besonderes Exemplar zum Feind gemacht, dachte ich.
»Alle wissen es, Madame«, versicherte mir Marguerite. »Aber es spielt keine Rolle. Die Frauen sind trotzdem verrückt nach ihm. Wo immer er geht, werfen sie sich ihm an den Hals. Aber er ist ja auch reich.« Offensichtlich wog dies den Verzehr von Menschenfleisch wieder auf.
»Wie interessant!« meinte ich. »Aber ich dachte, Monsieur le Comte sei ein Konkurrent von Monsieur Jared. Importiert er nicht auch Wein? Weshalb lädt Monsieur Jared ihn dann zu sich ein?«
Marguerite unterbrach ihre Arbeit und blickte lachend auf.
»Damit Monsieur Jared zum Abendessen den besten Beaune servieren und Monsieur le Comte erzählen kann, daß er soeben zehn Kisten davon erworben hat. Nach dem Essen bietet er ihm dann großzügig eine Flasche zum Mitnehmen an.«
»Ich verstehe«, erwiderte ich grinsend. »Und erhält Monsieur Jared auch eine Gegeneinladung von Monsieur le Comte?«
Sie nickte, und ihr weißes Kopftuch wippte über der Ölflasche und dem Poliertuch auf und ab. »O ja, Madame. Aber nicht so oft.«
Glücklicherweise war der Comte de St. Germain heute abend nicht unser Gast. Wir speisten en famille, da Jared vor seiner Abreise noch einige Einzelheiten mit Jamie besprechen wollte. Das Wichtigste war dabei das königliche Lever in Versailles.
Eine Einladung zu dieser Zeremonie stellte eine ganz besondere Gunstbezeugung dar, erklärte uns Jared während des Essens.
»Sie gilt nicht dir, Junge«, stellte er freundlich klar und fuchtelte mit der Gabel in Jamies Richtung. »Sondern mir. Der König - oder besser Duverney, der Finanzminister - möchte sichergehen, daß ich aus Deutschland zurückkehre. Die jüngste Steuererhebung traf die Händler schwer, so daß eine große Anzahl Ausländer das Land verließ, zum Nachteil der königlichen Finanzen, wie du dir vorstellen kannst.« Bei dem Gedanken an Steuern schnitt er eine Grimasse. »Montag in einer Woche möchte ich bereits unterwegs sein. Ich warte nur noch auf Nachricht, daß die Wilhelmina sicher in Calais eingelaufen ist. Dann mache ich mich auf den Weg.« Jared nahm sich ein Stückchen Aal und nickte Jamie zu, während er mit vollem Mund weitersprach. »Ich weiß die Geschäfte in guten Händen, Junge. Das bereitet mir keinerlei Sorgen. Bevor ich mich auf die Reise begebe, könnten wir noch über anderes sprechen. Ich habe mit dem Graf von Marischal vereinbart, daß wir ihn in zwei Tagen auf den Montmartre begleiten, damit du Seiner Hoheit, Prinz Charles Edward, deine Aufwartung machen kannst.«
Plötzlich fühlte ich, wie sich mein Magen vor Aufregung zusammenkrampfte, und ich tauschte einen kurzen Blick mit Jamie aus. Er nickte Jared zu, als wäre dieser Vorschlag etwas Alltägliches, aber als er mich ansah, sprühten seine Augen vor Erwartung. Das also war der Anfang.
»Seine Hoheit führt in Paris ein sehr zurückgezogenes Leben«, erklärte Jared und versuchte die restlichen Aale zu fangen, die fettig über den Teller rutschten. »Es wäre unpassend, wenn er sich in Gesellschaft zeigt, solange ihn der König nicht empfangen hat. Daher verläßt er das Haus nur selten und trifft außer den Anhängern seines Vaters, die ihm ihre Aufwartung machen, nur wenige Menschen.«
»Mir ist aber etwas ganz anderes zu Ohren gekommen«, warf ich ein.
»Was?« Zwei verblüffte Augenpaare hefteten sich auf mich.
Jared legte seine Gabel nieder und überließ den letzten Aal seinem Schicksal.
Skeptisch fragte Jamie:
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