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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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erklärt, daß es Pocken sind, hätte sich die Angelegenheit diskret mit Bestechungsgeldern regeln lassen. Weshalb glaubst du,
daß Jared uns so eilig hierhergebracht hat? Weil der Wein hier so gut ist?«
    Meine Lippen waren gefühllos, als hätte ich dem Vitriol in dem Krug zu ausgiebig zugesprochen.
    »Willst du damit sagen, daß wir uns in Gefahr befinden?«
    Er setzte sich zurück und nickte.
    »Endlich hast du’s begriffen«, meinte er freundlich. »Ich glaube nicht, daß Jared dich beunruhigen wollte. Vermutlich versucht er, einen Bewacher für uns aufzutreiben. Ihm kann wahrscheinlich nichts passieren - jedermann kennt ihn und seine Mannschaft, und außerdem ist er im Kreis seiner Schauerleute.«
    Ich rieb über die Gänsehaut an meinen Unterarmen. Trotz des prasselnden Feuers und der Wärme in dem verräucherten Raum war mir kalt.
    »Woher willst du wissen, was der Comte de St. Germain tun wird?« Ich zweifelte nicht an Jamies Worten - der übelwollende dunkle Blick, den mir der Comte im Lagerhaus zugeworfen hatte, stand mir noch deutlich vor Augen -, doch ich fragte mich, woher Jamie es wußte.
    Jamie nippte an seinem Wein, verzog das Gesicht und setzte den Becher ab.
    »Zum einen sagt man ihm Rücksichtslosigkeit und Schlimmeres nach. Bei meinem früheren Aufenthalt in Paris ist mir einiges zu Ohren gekommen. Ich hatte jedoch das Glück, nie mit ihm aneinanderzugeraten. Zum andern hat Jared mich gestern ausführlich über ihn aufgeklärt und mich vor ihm gewarnt. Er ist Jareds ärgster Rivale in Paris.«
    Ich stützte die Ellbogen auf den abgenutzten Tisch und ließ das Kinn auf meine gefalteten Hände sinken.
    »Ich habe ein ziemliches Durcheinander verursacht, nicht wahr?« bemerkte ich reuevoll. »Und dir einen guten Beginn verdorben.«
    Er lächelte, stand auf, stellte sich hinter mich und umschlang mich mit den Armen. Nach diesen unerwarteten Enthüllungen saß mir der Schrecken in den Gliedern, doch Jamies Stärke verlieh mir wieder Kraft. Er küßte mich auf den Scheitel.
    »Mach dir keine Sorgen, Sassenach«, sagte er. »Ich kann auf mich aufpassen. Und auf dich auch, vorausgesetzt, du läßt das zu.« Aus seiner Stimme war sowohl ein Lächeln herauszuhören als auch
eine Frage. Ich nickte und ließ meinen Kopf gegen seine Brust sinken.
    »Das lasse ich«, entgegnete ich. »Die Bürger von Le Havre müssen eben sehen, wie sie mit den Pocken zurechtkommen.«
     
    Es verging fast eine Stunde, bis Jared mit roten Ohren, jedoch mit unversehrter Gurgel wieder auftauchte. Ich war froh, als ich ihn sah.
    »Alles in Ordnung«, verkündete er strahlend. »Nichts an Bord außer Skorbut, der gewöhnlichen roten Ruhr und Erkältungen. Keine Pocken.« Händereibend blickte er sich im Raum um. »Wo ist das Abendessen?«
    Seine Wangen waren vom Wind gerötet, und er wirkte heiter und fähig. Der Umgang mit Geschäftsrivalen, die Unstimmigkeiten mittels Mordanschlägen regelten, gehörte offenbar zur täglichen Routine eines Kaufmanns. Warum auch nicht, dachte ich nicht ohne Zynismus. Schließlich war er ein Schotte.
    Als wollte er diese Ansicht bestätigen, bestellte Jared das Essen und ließ den dazu passenden Wein aus seinem eigenen Lagerhaus heraufbringen. Anschließend vertiefte er sich mit Jamie in ein anregendes Verdauungsgespräch über die Feinheiten im Umgang mit französischen Händlern.
    »Lauter Banditen!« erklärte er. »Ein jeder würde dich ohne langes Federlesen rücklings erdolchen. Dreckiges Diebsgesindel! Traue ihnen nicht über den Weg! Eine Hälfte als Anzahlung, die andere Hälfte bei Lieferung. Und gewähre einem Adeligen niemals Kredit!«
    Jareds Zusicherung, er hätte zwei Männer zur Beobachtung abgestellt, verringerte meine Nervosität nur unerheblich. Daher machte ich es mir nach dem Essen am Fenster bequem und beobachtete das Kommen und Gehen am Kai. Doch da jeder zweite dort unten in meinen Augen wie ein Attentäter aussah, versprach ich mir nicht viel von meiner Wachsamkeit.
    Über dem Hafen zogen sich die Wolken zusammen und kündeten von neuem Schnee. Die aufgegeiten Segel flatterten im auffrischenden Wind, schlugen knatternd gegen die Masten und übertönten selbst den Lärm der Schauerleute. Als die Sonne von den Wolken in das Wasser gedrückt wurde, glühte der Hafen plötzlich für einen Augenblick fahlgrün auf.

    Mit zunehmender Dunkelheit verebbte die Geschäftigkeit; die Schauerleute zogen mit ihren Handkarren in Richtung Stadt, und die Matrosen verschwanden in den

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