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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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hellerleuchteten Eingängen von Tavernen. Dennoch war der Hafen alles andere als ausgestorben. Vor allem die unglückselige Patagonia war nach wie vor von einer Traube Menschen umringt. Männer in Uniform hatten am vorderen Ende des Landungssteges einen Kordon gezogen, um zu verhindern, daß jemand an Bord ging oder die Ladung von Deck brachte. Laut Jared war es den gesunden Männern der Besatzung erlaubt, an Land zu gehen. Sie durften jedoch nichts außer den Kleidungsstükken, die sie am Leibe trugen, vom Schiff mitnehmen.
    »Immer noch besser als bei den Holländern«, erklärte er und kratzte sich dabei die schwarzen Stoppeln, die auf seinem Kinn zu sprießen begannen. »Wenn ein Schiff aus einem fremden Hafen einläuft und man weiß, daß dort eine Seuche grassiert, verlangen die Holländer von den Seeleuten, daß sie nackt ans Ufer schwimmen.«
    »Und was ziehen sie an, wenn sie am Ufer ankommen?« fragte ich interessiert.
    »Das weiß ich nicht«, erwiderte Jared geistesabwesend, »aber da sie nach ein paar Schritten an Land ohnehin in einem Bordell verschwinden, brauchen sie wohl nichts zum Anziehen - ich bitte um Pardon, meine Liebe«, fügte er hastig hinzu, als ihm wieder einfiel, daß er sich in Gegenwart einer Dame befand.
    Um seine momentane Verwirrung zu verbergen, erhob er sich munter, trat neben mich und sah mit mir aus dem Fenster.
    »Aha«, bemerkte er, »sie treffen Vorbereitungen zur Verbrennung. In Anbetracht seiner Ladung wären sie gut beraten, das Schiff weit in den Hafen hinauszuschleppen.«
    Man hatte an der unglückseligen Patagonia Schleppleinen befestigt, die zu einer Handvoll kleiner Jollen mit Ruderern führten. Diese warteten auf ein Zeichen vom Hafenmeister. Er rief, hob die Arme über den Kopf und wedelte langsam mit den Händen, ähnlich einem Signalmast.
    Seine Kommandos wurden von den Bootsführern der Jollen und Galeeren wiederholt. Die Schleppleinen spannten sich und tauchten langsam aus dem Wasser. Der dunkle Rumpf des beschlagnahmten Schiffes knarrte und erzitterte und wandte sich mit ächzenden Wanten dem Wind zu, um seine letzte kurze Reise anzutreten.

    Die Patagonia wurde bis in die Mitte des Hafens geschleppt, in sicherem Abstand zu den anderen Schiffen. Ihre Decks waren mit Öl getränkt worden, und als die Schleppleinen losgeworfen waren und die Schleppfahrzeuge sich entfernten, erhob sich die kleine runde Gestalt des Hafenmeisters von dem Sitz des Dingis, in dem er sich hatte hinausrudern lassen. Er bückte sich und tauchte mit einer brennenden Fackel in der Hand wieder auf.
    Der Ruderer hinter ihm neigte sich zur Seite, als er ausholte und die Fackel fortschleuderte. Blauglühend schlug sie hinter dem Schanzkleid auf. Der Hafenmeister wartete das Ergebnis seiner Tat nicht ab, sondern ließ sich auf die Bank fallen und trieb die Ruderer wild gestikulierend zur Eile an, so daß das kleine Boot über das dunkle Wasser schoß.
    Obwohl eine Weile nichts geschah, harrte die leise murmelnde Menge auf den Kais in gespannter Erwartung aus. Neben mir spiegelte sich plötzlich Jamies Gesicht in der dunklen Fensterscheibe. Als sich die kalte Scheibe unter unserem Atem beschlug, rieb ich sie mit dem Saum meines Umhangs trocken.
    »Da«, sagte Jamie leise. Wie ein dünnes Band fraß sich die Flamme hinter dem Schanzkleid ins Holz. Ihr flackernder Schein ließ die vorderen Wanten orangerot aufglühen. Über die ölgetränkten Geländer tanzten Feuerzungen, und ein aufgetuchtes Segel ging in Flammen auf.
    Es dauerte nicht mal eine Minute, und die Wanten des Besans brannten lichterloh. Kurz darauf loderten die Zeisinge des aufgetuchten Segels auf, so daß man sich an einen herabfallenden Flammenschleier erinnert fühlte. Das Feuer breitete sich in Windeseile aus, und unversehens brannte das ganze Schiff.
    »Kommt mit nach draußen«, forderte Jared uns auf. »Die Flammen werden in Kürze den Laderaum erreicht haben - der günstigste Moment, um zu verschwinden. Keiner wird uns bemerken.«
    Er hatte recht.
    Als wir uns aus der Taverne stahlen, tauchten plötzlich zwei seiner Männer neben uns auf, mit Pistole und Marlspieker bewaffnet, aber sonst nahm niemand Notiz von uns. Jeder starrte gebannt auf den Hafen, wo die Aufbauten der Patagonia wie ein schwarzes Skelett im Innern eines wogenden Flammenkörpers standen. Wie das Feuer eines Maschinengewehrs ertönte in kurzer Abfolge eine Anzahl Knallgeräusche.

    Sie gipfelten in einer mächtigen Explosion, und brennende Holzspäne regneten

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