Die Geliehene Zeit
und starrte mich an.«
Mit diesem geöffneten Auge musterte er seinen Besucher mit eher mäßigem Interesse und stellte fest: »Groß, nicht wahr?«
»Ich antwortete: ›Ja, Eure Majestät‹«, erklärte Jamie. »Woraufhin er fragte: ›Können Sie tanzen?<, und ich erwiderte, daß ich das könne. Dann klappte er das Auge zu, und der Duc schob mich weiter.«
Nachdem die Vorstellung beendet war, machten sich die Kammerherren mit würdevoller Unterstützung der ranghöchsten Adeligen an die Toilette des Königs. Während dieser Prozedur traten die Bittsteller auf ein Zeichen des Duc d’Orléans nacheinander vor und murmelten dem König ihr Anliegen ins Ohr, während dieser den Kopf dem Rasiermesser entgegenstreckte oder den Hals neigte, damit die Perücke zurechtgerückt werden konnte.
»Ach ja? Und hattest du die Ehre, Seiner Majestät die Nase zu putzen?« fragte ich.
Jamie grinste und dehnte seine verschränkten Finger, bis die Knöchel knackten.
»Nein, Gott sei Dank nicht. Ich stellte mich in den Schatten des Schrankes und versuchte, mir den Anschein eines Möbelstücks zu geben, während mich all diese kleinwüchsigen Grafen und Herzöge aus den Augenwinkeln heraus musterten, als wäre Schottischsein etwas Ansteckendes.«
»Wenigstens warst du groß genug, um alles zu überblicken.«
»Aye, das stimmt. Ich konnte sogar zusehen, wie er es sich auf der chaise percée bequem machte.«
»Was? Vor all den Menschen?« Ich war fasziniert. Natürlich hatte ich bereits darüber gelesen, konnte es jedoch kaum glauben.
»Ja. Und jeder tat so, als würde dem König lediglich das Gesicht gewaschen oder die Nase geputzt. Der Duc de Neve hatte die unaussprechliche Ehre«, fügte er ironisch hinzu, »Seiner Majestät den Hintern abzuputzen. Ich habe nicht gesehen, was er mit dem Handtuch gemacht hat. Wahrscheinlich hat er es hinausgetragen und vergolden lassen.
War eine ziemlich langwierige Angelegenheit«, fügte er hinzu, beugte sich hinunter und setzte die Hände auf den Boden, so daß sich seine Beinmuskeln anspannten. »Hat ewig gedauert. Der Mann ist dicht wie eine Eule.«
»Dicht wie eine Eule?« fragte ich, amüsiert über diesen Vergleich. »Du meinst wohl verstopft?«
»Aye, genau. Ist ja auch kein Wunder bei dem, was man am Hof ißt«, fügte er kritisch hinzu und dehnte sich. »Schreckliche Kost, lauter Rahm und Butter. Er sollte lieber Haferbrei zum Frühstück essen - damit erledigt sich das Problem von selbst. Gut für die Verdauung, wie du weißt.«
Wenn die Schotten an einer Überzeugung festhalten - und tatsächlich ließe sich da so manches aufzählen -, dann an den guten Eigenschaften von Haferbrei, zum Frühstück genossen. Seit ewigen Zeiten haben sich die Menschen in diesem armen Land von Hafer ernährt, weil es nichts anderes gab, so daß man wie üblich aus der Not eine Tugend machte und darauf bestand, dieses Zeug zu mögen.
Inzwischen hatte Jamie sich auf den Boden gelegt und begonnen, die Royal-Air-Force-Übungen durchzuführen, die ich ihm zur Kräftigung der Rückenmuskeln empfohlen hatte.
Ich griff seine Bemerkung von vorhin auf und fragte: »Weshalb hast du gesagt ›dicht wie eine Eule Ich habe diesen Satz schon einmal gehört, aber im Zusammenhang mit ›betrunken‹ und nicht mit ›verstopft sein<. Leiden Eulen denn an Verstopfung?«
Er beendete seine Übungen, rollte sich auf die Seite und legte sich keuchend auf den Teppich.
»Aye.« Allmählich kam er wieder zu Atem. Er setzte sich auf und strich sich das Haar aus der Stirn. »Zumindest erzählt man sich das. Man sagt, Eulen haben keinen Verdauungstrakt und können deshalb nichts ausscheiden - zum Beispiel Mäuse, aye? Daher bildet sich aus den Knochen, den Haaren und den anderen Dingen ein Knäuel, das die Eule erbricht, weil sie es am anderen Ende nicht loswerden kann.«
»Wirklich?«
»Aye. Und wenn unter einem Baum solche Knäuel liegen, kann man sicher sein, daß dort Eulen hausen. Eulen machen ungeheuren Schmutz«, fügte er hinzu und lockerte den Kragen.
»Trotzdem haben sie ein Arschloch«, klärte er mich auf. »Ich habe einmal eine mit einer Schleuder abgeschossen und nachgesehen.«
»Ein wissensdurstiger Bursche!« sagte ich lachend.
»Allerdings, Sassenach.« Er grinste. »Und sie verdauen auch auf diesem Weg. Einmal habe ich deswegen sogar einen Tag lang mit Ian unter einem Baum mit Eulen gesessen.«
»Guter Gott, du mußt wirklich neugierig gewesen sein«, bemerkte ich.
»Nun, es ließ mir keine
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