Die Geliehene Zeit
schärfen. »Und Gefühle? Nun, wenn Sie die Politik meinen, bin ich leider nicht auf dem neuesten Stand.« Mit einem lauten Schnipsen kürzte er den dicken Federkiel um ein ganzes Stück.
Mr. Hawkins förderte eine Anzahl Silbermünzen aus seinem Beutel zutage, die er säuberlich aufstapelte.
»Wahrhaftig?« fragte er geistesabwesend. »Dann sind Sie der erste Hochlandschotte, der es so hält.«
Jamie hatte den Federkiel mittlerweile geschärft und hielt ihn in die Höhe, um sein Werk zu begutachten.
»Hmm?« fragte er vage. »Nun, anderes ist mir wichtiger. Sie wissen ja selbst, wieviel Zeit es verschlingt, ein Geschäft wie dieses zu führen.«
»Wie wahr!« Mr. Hawkins zählte die Münzen auf seinem Stapel noch einmal durch. Dann nahm er eine fort und ersetzte sie durch zwei kleinere. »Charles Stuart soll in Paris eingetroffen sein.« Sein rundes Säufergesicht zeigte nicht mehr als höfliches Interesse, doch die Augen in den Fettpolstern funkelten wachsam.
»Ja, ja«, murmelte Jamie. Sein Ton ließ offen, ob er das Gerücht
bestätigen oder höfliche Gleichgültigkeit ausdrücken wollte. Vor ihm lag ein Stapel mit Bestellungen, und jetzt machte er sich daran, die Bögen mit übertriebener Sorgfalt zu unterzeichnen. Er malte die Buchstaben mehr, als daß er sie schrieb. Jamie, ein Linkshänder, den man als Junge dazu gezwungen hatte, die rechte Hand zu benutzen, hatte immer Probleme mit den Buchstaben, doch nur selten machte er solch ein Aufhebens darum.
»Demnach stehen Sie in dieser Angelegenheit nicht auf seiten Ihres Vetters?« Hawkins setzte sich zurück und betrachtete Jamies Scheitel, der naturgemäß nicht sehr mitteilsam war.
»Was kümmert Sie das, Sir?« Jamie hob den Kopf und blickte Mr. Hawkins herausfordernd an. Der behäbige Kaufmann erwiderte den Blick einen Moment lang, dann winkte er ab.
»Gar nicht. Ganz und gar nicht«, erwiderte er geschmeidig. »Aber ich weiß um die jakobitischen Sympathien Ihres Cousins, denn er macht schließlich keinen Hehl daraus. Ich habe mich nur gefragt, ob alle Schotten einer Meinung sind, wenn es um den Thronanspruch der Stuarts geht.«
»Wenn Sie die Schotten aus dem Hochland kennen würden«, erwiderte Jamie trocken, während er eine Abschrift der Bestellung herüberreichte, »dann wüßten Sie, daß sich nur selten zwei finden lassen, die sich in mehr Punkten einig sind als der Farbe des Himmels. Und selbst das ist gelegentlich eine Streitfrage.«
Mr. Hawkins lachte so herzlich, daß sein runder Bauch unter der Weste bebte. Er steckte den zusammengefalteten Bogen in die Tasche. Da Jamie an weiteren Fragen dieser Art nicht gelegen schien, schaltete ich mich ein und bot Madeira und Kekse an.
Einen Moment lang schien Mr. Hawkins in Versuchung zu geraten, doch dann schüttelte er bedauernd den Kopf und schob den Sessel zurück.
»Nein, vielen Dank, Madam. Die Arabella läuft diesen Donnerstag ein, und ich muß nach Calais fahren und sie empfangen. Aber bevor ich in die Kutsche steige, erwartet mich noch ein Berg von Arbeit.« Er deutete auf den Stapel von Bestellungen und Quittungen, die er aus der Tasche gezogen hatte, legte Jamies Quittung obenauf und schob alles zurück in eine dicke Brieftasche.
»Immerhin«, sagte er, und sein Gesicht hellte sich auf, »kann ich auf der Reise ein paar Geschäfte tätigen. Ich werde den Herbergen und Gaststätten auf dem Weg nach Calais einen Besuch abstatten.«
»Wenn Sie wirklich alle Tavernen zwischen Paris und Calais besuchen wollen, werden Sie Calais erst im nächsten Monat erreichen«, bemerkte Jamie. Er zog seine eigene Geldbörse aus der Felltasche und ließ den Stapel Silbermünzen hineinfallen.
»Da haben Sie nur allzu recht, mein Herr«, meinte Mr. Hawkins mit einem bedauernden Stirnrunzeln. »Ich fürchte, ich muß die eine oder andere auslassen, um sie mir auf dem Rückweg vorzunehmen.«
»Aber Sie können doch sicher einen Stellvertreter nach Calais schicken, wenn Ihre Zeit so kostbar ist«, schlug ich vor.
Er rollte mit den Augen und verzog den Mund zu einem Ausdruck des Bedauerns, soweit dessen Form dies zuließ.
»Wenn das nur möglich wäre, Madam! Doch die Arabella trägt eine Fracht, die ich keinem meiner Mitarbeiter anvertrauen kann. Meine Nichte Mary ist an Bord«, erklärte er. »Während wir hier sitzen, ist sie bereits auf dem Weg zur französischen Küste. Sie ist fünfzehn und noch niemals von zu Hause fortgewesen. Da kann ich sie die Reise nach Paris wohl kaum allein machen
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