Die Geliehene Zeit
lassen.«
»Gewiß nicht«, gab ich ihm höflich recht. Mary Hawkins. Ein Allerweltsname, und doch kam er mir bekannt vor. Etwas Bestimmtes verband ich damit allerdings nicht. Ich rätselte noch daran herum, als Jamie Mr. Hawkins zur Tür geleitete.
»Ich hoffe, daß Ihre Nichte eine angenehme Reise hat«, sagte er höflich. »Soll sie hier ein Pensionat besuchen? Oder lediglich ihre Verwandten?«
»Heiraten soll sie«, erklärte Mr. Hawkins mit Genugtuung. »Meinem Bruder ist es gelungen, für sie eine höchst vorteilhafte Verbindung mit einem Angehörigen des französischen Adels zu arrangieren.« Stolz schwoll seine Brust, so daß die Goldknöpfe seines Rockes abzuspringen drohten. »Mein älterer Bruder ist nämlich ein Baronet, müssen Sie wissen.«
»Mit fünfzehn?« fragte ich bedrückt. Frühe Heiraten waren nichts Ungewöhnliches, aber in diesem Alter? Ich hatte mit neunzehn geheiratet und dann noch einmal mit siebenundzwanzig, und beim zweiten Mal war ich um einiges klüger gewesen.
»Wann... äh... hat Ihre Nichte denn die Bekanntschaft ihres Verlobten gemacht?« fragte ich vorsichtig.
»Sie kennt ihn noch gar nicht. Um ehrlich zu sein«, Mr. Hawkins beugte sich vor und legte den Finger an die Lippen, »weiß sie noch
nichts von der Heirat. Die Verhandlungen sind nämlich noch nicht ganz abgeschlossen.«
Entsetzt öffnete ich den Mund, und mir lag eine scharfe Entgegnung auf der Zunge, doch Jamie griff mich warnend am Arm.
»Nun, wenn dieser Herr dem Adel angehört, werden wir Ihre Nichte wahrscheinlich demnächst bei Hof antreffen«, stellte er fest, während er mich unerbittlich Richtung Tür schob. Mr. Hawkins mußte beiseite springen, um nicht von mir überrannt zu werden. Ohne sich davon stören zu lassen, schwatzte er weiter.
»Das steht zu vermuten. Ich würde es als große Ehre betrachten, wenn Sie und Ihre Gattin meiner Nichte ihre Aufwartung machen. Sicher wäre ihr die Gesellschaft einer Landsmännin eine große Freude«, fügte er mit einem öligen Lächeln an meine Adresse hinzu. »Aber denken Sie bitte nicht, daß ich unsere Geschäftsbeziehung ausnutzen möchte.«
Nein, ganz gewiß nicht, dachte ich entrüstet. Du würdest alles tun, um deine Familie im französischen Adel unterzubringen, und wenn du dafür deine Nichte mit... mit...
»Wer ist denn der glückliche Bräutigam?« fragte ich unumwunden.
Mit einem Ausdruck der Verschlagenheit beugte Mr. Hawkins sich vor, um in mein Ohr zu flüstern.
»Eigentlich dürfte ich ja nicht darüber sprechen, weil wir den Ehekontrakt noch nicht unterzeichnet haben. Aber da Sie es sind, Madam... es handelt sich um ein Mitglied des Geschlechts der Gascogne. Um ein hochrangiges Mitglied!«
»In der Tat«, stellte ich fest.
Nachdem Mr. Hawkins, der sich vor Vorfreude wie wild die Hände rieb, aufgebrochen war, wandte ich mich zu Jamie um.
»Gascogne! Er meint wahrscheinlich... aber das kann doch nicht sein Ernst sein! Dieser widerliche alte Kerl mit den Schnupftabaksflecken am Kinn, der letzte Woche bei uns zu Gast war?«
»Der Vicomte de Marigny?« Jamie quittierte meine Beschreibung mit einem Lächeln. »Ich nehme es an. Er ist Witwer und der einzige Junggeselle dieser Familie, soweit ich weiß. Außerdem glaube ich nicht, daß es Schnupftabak ist - eher sein Bart. Ein wenig mottenzerfressen«, gab er zu, »doch mit all den Warzen im Gesicht wird die Rasur nun mal zu einem höllischen Unterfangen.«
»Aber man kann doch keine Fünfzehnjährige mit diesem... diesem Widerling verheiraten! Noch dazu, ohne sie zu fragen!«
»Ich fürchte, man kann«, entgegnete Jamie mit einer Gelassenheit, die mich zur Weißglut trieb. »Wie dem auch sei, Sassenach, es geht dich nichts an.« Er faßte meine beiden Ellenbogen und schüttelte mich eindringlich.
»Hast du verstanden? Ich weiß, es kommt dir seltsam vor, aber so ist es nun mal. Außerdem«, er grinste süffisant, »bist du auch zur Ehe gezwungen worden und hast dich ganz nett darin eingerichtet, nicht wahr?«
»Da bin ich mir nicht so sicher!« Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien, doch er lachte, zog mich an sich und küßte mich. Natürlich würde ich Mary Hawkins meine Aufwartung machen, dachte ich. Dann würden wir ja sehen, was sie von dieser Heirat hielt. Und wenn sie nicht einverstanden war, daß ihr Name neben den des Vicomte de Marigny auf den Ehekontrakt gesetzt wurde, dann... Plötzlich fuhr mir ein Schreck in die Glieder, und ich stieß Jamie fort.
»Was ist«,
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