Die Geliehene Zeit
Stunde schmerzten mir die Füße. Und vom vielen Lächeln kurz darauf die Gesichtsmuskeln. Und schließlich auch meine Hand, die den Fächer führte.
Ich schuldete Jamie einen gewissen Dank, daß er in der Sache mit dem Fächer so eisern geblieben war. Letztlich hatte ich den größten mitgebracht, der sich in meinem Besitz befand, ein fast dreißig Zentimeter langes Ungetüm, auf das so etwas wie Rothirsche, die durch die schottische Heide sprangen, gemalt war. Jamie hatte die künstlerische Ausführung kritisiert und das Format gelobt. Nachdem ich damit anmutig und erfolgreich die Aufmerksamkeiten eines kühnen jungen Mannes in purpurrotem Gewand abgewehrt hatte, breitete ich ihn unauffällig unter meinem Kinn aus, während ich ein mit Lachs belegtes Stück Toast aß.
Nicht nur die Brotkrumen hielt ich mir damit vom Leib. Während Jamie von seinem günstigen Aussichtspunkt - er war etwa einen Kopf größer als ich - behauptet hatte, meinen Nabel zu sehen, blieb diese Region den französischen Höflingen, die meist kleiner waren als ich, verborgen. Andererseits...
Immer wieder hatte ich mich an Jamies Brust gekuschelt und meine Nase in die kleine Mulde geschmiegt, die dafür wie geschaffen schien. Ein paar der kühneren Geister unter meinen Bewunderern schienen nun geneigt, eine ähnliche Erfahrung zu machen. Insofern hatte ich alle Hände voll zu tun, ihnen durch den Wind, den mein Fächer aufwirbelte, die Locken aus der Stirn zu blasen, oder, wenn sie sich dadurch nicht entmutigen ließen, ihnen mit zusammengeklapptem Fächer auf den Schädel zu klopfen.
Deshalb empfand ich es als ausgesprochene Erleichterung, als sich der Lakai an der Flügeltür aufrichtete und verkündete: »Sa Majesté, Le Roi Louis!«
Zwar hieß es, der König würde bei Morgengrauen aufstehen, doch zu vollem Leben erwachte er offensichtlich erst nachts. Obwohl er nicht viel mehr maß als einsfünfundfünfzig, erweckte er durch seine Haltung den Eindruck, weitaus größer zu sein. Unter huldvollem Nicken nach links und rechts nahm er die Begrüßung seiner Untertanen entgegen, die sich tief vor ihm verneigten.
Er kam der Vorstellung, die ich mir von einem König machte, weitaus näher als Bonnie Prince Charlie. Zwar war er nicht besonders ansehnlich, doch er verhielt sich wahrhaft königlich - ein Eindruck, der nicht nur durch seine prachtvolle Kleidung unterstrichen wurde, sondern auch durch die Art und Weise, wie sein Hofstaat ihm begegnete. Louis trug eine modische Perücke, und sein Rock war aus feinem, mit Hunderten von schillernden Seidenschmetterlingen bestickten Samt. Die Rockschöße waren zurückgeschlagen und enthüllten eine cremefarbene Seidenweste mit Diamantenknöpfen. Dazu trug er Schuhe mit überdimensionalen, ebenfalls schmetterlingsförmigen Schnallen.
Unruhig glitt sein verschleierter Blick durch den Saal. Die arrogante Bourbonennase hielt er erhoben, als könnte er damit jeden Gegenstand von Interesse wittern.
Angetan mit Kilt und Plaid, dazu aber Rock und Weste aus steifer gelber Seide, mit seiner flammendroten Mähne, die ihm nach alter schottischer Sitte in einem schlichten Zopf auf die eine Schulter fiel, war Jamie eindeutig ein geeignetes Objekt. Zumindest glaubte ich, daß es Jamie galt, denn Le Roi Louis schwenkte von seiner Bahn ab und steuerte direkt auf uns zu, wobei sich der Hofstaat vor ihm teilte wie das Rote Meer vor Moses. Madame Nesle de La Tourelle, die ich von einer früheren Gesellschaft her wiedererkannte, folgte ihm dicht auf den Fersen.
Das rote Kleid hatte ich ganz und gar vergessen. Seine Majestät blieb direkt vor mir stehen und verbeugte sich, die Hand elegant an die Hüfte gelegt.
»Chère, Madame« , sagte er. »Wir sind entzückt.«
Ich hörte, wie Jamie hinter mir scharf die Luft einsog. Dann trat er vor und verbeugte sich vor dem König.
»Darf ich Euch meine Frau vorstellen, Eure Majestät - die Herrin
von Broch Tuarach.« Jamie richtet sich auf und trat zurück. Ich fragte mich derweilen, warum er mir mit den Fingern auf den Rücken trommelte. Erst dann begriff ich, daß er mir damit zu verstehen geben wollte, einen Hofknicks zu machen.
Rasch ließ ich mich in die Knie sinken und zwang mich, die Augen zu Boden zu richten. Zugleich fragte ich mich, wohin ich nach meinem Auftauchen blicken sollte. Madame Nesle de la Tourelle, die gleich hinter Louis stehengeblieben war, beobachtete unsere Vorstellung gelangweilt. Dem Klatsch nach zu urteilen, war die »Nesle« die gegenwärtige
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