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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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soll, dass ich offensichtlich nicht dabei sein werde, wenn ich so etwas immer noch nicht weiß. Es kommt mir wie ein mitternächtliches Festessen vor, zu dem nur die Kuchen besitzende Elite eingeladen wird. Doch ich besitze weder Kuchen noch Kuchenblech oder Rezeptbuch. Selbst wenn ich das alles hätte, würden mir die Mittel fehlen, um Mehl zu kaufen. Gonzo hat natürlich ein Stipendium bekommen, um an einem Ort namens Jarndice Landwirtschaft und Agrarwissenschaften zu studieren; denn es ist strikt verboten, Stipendien allein aufgrund sportlicher Fähigkeiten zu vergeben. Jarndice fordert vielmehr ganz bestimmte geistige Fähigkeiten, die sich seltsamer- oder glücklicherweise genau mit den Anforderungen decken, die für die erfolgreiche Mitwirkung in einer Reihe von Mannschaftssportarten von Bedeutung sind. Einige Studenten der Agrarwissenschaften verlegen sich bedauerlicherweise so sehr auf diese alternative Anwendung ihrer Fähigkeiten, dass sie überhaupt keinen Abschluss machen, sondern gleich in den Profisport wechseln. Das Entsetzen der Jarndice University über diese Vergeudung junger Geister hält sich in Grenzen, weil gerade aus diesen Versagern die besten Mannschaftskapitäne und Spitzensportler hervorgehen, die sich ihrer lieben, alten Schule mit kleinen Geschenken wie Bibliotheken, Pavillons und (in einem Fall) einem Gemälde von van Gogh erkenntlich zeigen. Gonzo musste im Büro, das sich direkt neben dem Rugbyfeld befand, ein Aufnahmegespräch absolvieren, und nachdem sie über Kühe geredet hatten (Gonzo legte ein detailliertes Fachwissen über ihre Verdauungsprozesse an den Tag und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass er, wenn er mit einer ganz bestimmten, ausgesprochen reizenden Studentin der Veterinärmedizin forschen dürfe, möglicherweise schon bald ein Heilmittel für das mit Blähungen und Rülpsen verbundene Leiden finden könne, das die Herde der Universität unmittelbar nach seiner Ankunft am Dienstag befallen hatte). Sie sprachen auch über Flurbereinigung (Gonzo zeigte sich verwundert, dass die Studenten ihre Wohnheime selbst putzen müssen) und Abferkeln (»Wird man davon nicht blind?«), woraufhin sich Professor Dollan fast an der Kappe seines Füllers verschluckte und hinausgetragen werden musste. Danach wurden die Bewerber eingeladen, an einem freundlichen, informellen und absolut freiwilligen Spiel Kandidaten gegen die Erste Mannschaft teilzunehmen, wobei die Kandidaten mit 73:14 abserviert wurden. Alle Punkte der Kandidaten erzielte ein gewisser G. William Lubitsch. Die Auswertung der Unfälle und Vorfälle nach dem Spiel ergab, dass Gonzo zwar regelgerecht, aber brutal zwei Spieler der Gastgeber lahmgelegt und sich auch selbst einige nicht unerhebliche Verletzungen zugezogen hatte, die jedoch seine Fähigkeiten kaum beeinträchtigt hatten: nämlich eine leichte Gehirnerschütterung, eine verrenkte Schulter, eine mit drei Stichen zu nähende Platzwunde über dem linken Auge, zwei Rippenbrüche und verschiedene Prellungen und blaue Flecken. Nachdem er sein Hemd ausgezogen hatte, sah sich die Physiotherapeutin veranlasst, ihn nachdrücklich in ihr Büro zu bitten, wo sie sich eingehend um seine Blessuren zu kümmern gedachte.
    Gonzo hätte sicherlich auch kraft seiner geistigen Fähigkeiten einen Studienplatz finden können. Dazu ist er durchaus fähig. Das hätte allerdings größere Anstrengungen erfordert, als er aufbieten wollte oder jemals aufzubieten gezwungen war. Er findet den Sport einfach weniger anstrengend als Chemie oder Geografie – zwei Fächer, in denen er Hervorragendes leisten kann, wenn er gerade mal Lust dazu hat. Also entschied er sich für den Sport. Irgendwie habe ich nie gelernt, die richtigen Fragen zu stellen, und so lande ich schließlich zu meiner eigenen Überraschung im Arbeitszimmer meiner Schulleiterin.
    Ich staune, wie klein der Raum und wie klein auch die Evangelistin selbst ist, diese erbitterte Gegnerin der Evolutionslehre, die diese Schule leitet. So starre ich ihre ordentlichen, archivierten, indizierten, etikettierten und kategorisierten Habseligkeiten an, die nach Farben geordneten Stifte, die kleine Rolle mit Papiersternen, die für eine gute Arbeit stehen, und auch die fetten schwarzgelben Aufkleber mit dem Wort »GIFTIG«, die sehr schlechten Arbeiten vorbehalten sind. Mir fällt auf, dass sie stark an einen Makaken erinnert, was aber auf vielfältige Weise ein ausgesprochen verhängnisvoller Gedanke ist, den ich sofort wieder verbanne.

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