Die gelöschte Welt
Unterschriften der Flüchtlinge aus feindseligen Vorstellungsgesprächen, die sich auf hoher See verirrt haben.
»Was ist das?«
»Der einzige Job, den ich Ihnen geben kann. Der einzige, den Sie bekommen können. George Copsen braucht Sie und so weiter.«
»Wozu?«
»Keine Ahnung.« Ich starre ihn an. »Es wird schon gut gehen«, fährt Crispin Horton fort. »Wenigstens hoffe ich das«, fügt er hinzu. Ich unterschreibe.
Der Laden heißt Projekt Albumen, hat aber nichts mit Eiern zu tun. Ein Computerprogramm, das offenbar nicht angewiesen war, beunruhigende oder unangenehme Begriffe zu meiden, hat den Namen willkürlich ausgewählt. Soweit ich weiß, wird es aber gar nicht Projekt Albumen genannt, wenigstens nicht von irgendjemandem anders außer mir. Es riecht förmlich nach Geheimoperationen, Sicherheitsfreigaben und Menschen, die spurlos verschwinden. Deshalb passt es gut zu meinen letzten Erlebnissen mit George Copsen, aber nicht zu meinen Kindheitserinnerungen, die sich um Kekse, Orangensaft und Zeltbauten im Wohnzimmer drehen, während Gonzo und Lydia einige Varianten von Doktorspielen ausprobierten, deren parteiische Regeln stets von mir verlangten, die Leiche zu spielen, damit mich die beiden mit improvisierten chirurgischen Instrumenten verarzten konnten (ein Buttermesser/ Skalpell, ein Taschentuch/Verband und ein aus der Garage geklauter kurzer Plastikschlauch, dessen genauer Zweck mir gnädigerweise nicht offenbart wurde).
Wenn Sie vor dem Projekt Albumen stehen und hinaufschauen, können Sie es eigentlich gar nicht richtig erkennen. Es ist verwinkelt und modern, die Fassade hat eckige Vorsprünge wie ein Zahnrad oder der Abdruck eines Turnschuhs. Riesige Eisentüren, poliert und versiegelt, wie ein griechischer Tempel mit leichten Anklängen des Modernismus. Aus der Nähe kann man sich kein richtiges Bild von dem Gebäude machen – nur dass es groß ist. Wenn man auf der Straße zurückgeht, um es zu betrachten, ist eine Hügelkuppe im Weg. Wenn man gegen die strengen Anordnungen der Schilder – »Lebensgefahr – vermint« – die Straße verlässt und auf den Hügel steigt, fliegt man mit ziemlicher Sicherheit in die Luft. Die Beschilderung ist zwar zutreffend, aber etwas zurückhaltend.
Selbst wenn man es wider Erwarten schafft, den Hügel in einem Stück zu erklimmen, sieht man nicht das Projekt selbst, da es fast ständig von einem koketten Dunst eingehüllt wird. Ein Teil des Ostflügels verlockt Sie, in die eine Richtung zu sehen, ein rascher Blick auf den Hinterhof lenkt Sie sofort wieder ab. Man könnte von diesem Gebäude besessen werden und wie ein Irrer versuchen, ihm die Geheimnisse zu entreißen und sich in seine einladenden Tiefen zu stürzen. Wenn man so ein Mensch ist, könnte man das Gefühl bekommen, dass dieses Gebäude es unbedingt braucht, als habe es geradezu verdient, das Ziel einer feindseligen Militäraktion zu werden, eines geheimen Kommandounternehmens, nur um es ihm mal richtig zu zeigen.
Vor drei Monaten griffen drei höchst motivierte Gentlemen das Projekt Albumen im Stile einer wohldurchdachten Spezialoperation an. Sie wollten die Geheimnisse dieses Gebäudes aufdecken, das sich so nett hinter den hübschen Außendekorationen versteckt. Nach einigen Wochen der Planung zogen sie ihre hautengen schwarzen Monturen an und schlugen zu. Sie sprengten ein Loch in die Hintertür und traten, zweifellos mit einer Art herrischem Allmachtsgefühl, hoheitsvoll ein.
Leider stellt das ganze Hauptgebäude des Projekt Albumen einen einzigen Köder dar. Das Innere ist groß, alle Wände sind mit kompliziert verschachtelten Metallverkleidungen bewehrt. Dies erweckt den irrigen Eindruck, es gäbe eine große Zahl von Geheimtüren und Durchgängen. Die Eindringlinge brauchten etwa neunundzwanzig Minuten, um festzustellen, dass dort keine Ausgänge vorhanden sind. Kurz danach entdeckten sie, dass das Allerheiligste, das warme, geheime Herz des Projekts Albumen, eher kalt und abweisend ist, denn es wird alle halbe Stunden mit Flüssigstickstoff geflutet. Die motivierten Herren wurden etwas später entfernt, nachdem sie weit genug aufgetaut waren, um vom Boden gekratzt zu werden.
All dies erfahre ich so im Plauderton von einem Mann namens Richard P. Purvis – zur Einführung. Leutnant Richard P. Purvis. Er fährt am Parkplatz vorbei und biegt hinter ein paar großen, leeren Gasbehältern in eine kleine, abschüssige Zufahrt ein. Neben einem angeschlagenen Container, auf dessen
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