Die Genesis-Affäre: Mind Control (German Edition)
saßen gerade vor dem Fernsehgerät und verfolgten die Telenovela, die der Sender tägliche um diese Uhrzeit ausstrahlte. Womöglich wurde sie an der spannendsten Stelle unterbrochen. Fechner war es egal, ein Terroranschlag rechtfertigte unbedingt seine Entscheidung.
Thekla Pfaff war nervös. Zum ersten Mal saß sie in einem Fernsehstudio vor laufenden Kameras und sie wusste nicht so recht, wo sie hinschauen sollte. Sie erhielt zwar Instruktionen, nicht direkt in die Kameras zu sehen, doch diese übten eine magische Anziehungskraft aus.
Ganz anderer Art war der Stress bei Lena Jansen und Fechner, die vor der schwersten Aufgabe ihrer journalistischen Arbeit standen. Niemand konnte vorhersehen, welche Auswirkungen diese Sendung haben würde. Von Gelassenheit bis hysterischer Panik war alles denkbar.
Routiniert begann Lena Jansen die Moderation, stellte die Studiogäste vor und fasste einleitend zusammen, was innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden geschehen war, angefangen beim Rücktritt des Bundeskanzlers, über die Anschläge im Sender und der anonym zugespielten Videoaufzeichnung über die Genesis-Konferenz. Als sie auf Falkensee zu sprechen kam, wandte sie sich an Thekla Pfaff und bat sie, von ihren Messungen zu berichten.
Die Studentin überraschte alle Anwesenden. Ihre Unsicherheit verflog und sie präsentierte eine fundierte Aussage, ohne um Worte verlegen zu sein. Man hätte meinen können, dass sie schon etliche Male vor einer Fernsehkamera gestanden hätte und über entsprechende Erfahrung verfügte.
Als die Regie den Eindruck bekam, dass sie zu wissenschaftlich wurde, schaltete sie auf die Kamera um, die auf Lena Jansen gerichtet war.
»Meine Damen und Herren«, übernahm Lena Jansen das Wort, »Frau Pfaff spricht von Mikrowellen, die zunächst harmlos erscheinen, in Wahrheit allerdings eine gefährliche Bedrohung darstellen.«
»Wir wollen Sie gewiss nicht beunruhigen«, hakte Fechner ein, »wir halten es jedoch für unsere Pflicht, Sie aufzuklären. Unsere Zuschauer aus Berlin und diejenigen, die auf der Achse Berlin Frankfurt leben, sollten einmal aus dem Fenster in den Himmel schauen. Sie werden ein gewaltiges Nordlicht direkt über unserem Land sehen.«
Das war das Stichwort für die Regie, die daraufhin auf die Kamera auf dem Dach des Funkhauses schaltete. Augenblicklich war das Nordlicht auf den Fernsehschirmen zu sehen, doch schon nach wenigen Sekunden wurde wieder auf die Studiokamera zurückgeschaltet.
»Wir haben vor wenigen Minuten eine dpa-Meldung erhalten«, fuhr Fechner fort, »wonach die Besatzung der ISS dieses Nordlicht quer über Deutschland von Berlin bis Frankfurt beobachtet hat.«
»Es handelt sich dabei nicht um ein Naturschauspiel, das aus irgendwelchen Gründen vom Nordpol in unseren Breitengrad gewandert ist«, hakte Lena Jansen ein, »sondern wir wissen aus zuverlässiger Quelle, dass es sich um ein menschengemachtes Phänomen handelt.« Jansen war sich bewusst, in diesem Moment den wohl folgenschwersten Satz ihrer Karriere gesprochen zu haben. Sie sah kurz zu Fechner hinüber, der wie versteinert wirkte. Er versuchte, seine Furcht zu unterdrücken, die Sendung könnte zu einem dritten Anschlag auf das Funkhaus führen. Seiner Meinung nach waren die Terroristen unberechenbar.
Als Fechners Verhalten vom Regisseur bemerkt wurde, ließ dieser die Sendung unterbrechen und einen Werbeblock einschieben. Fechner saß nachdenklich da, hielt seine Brille in der Hand und schien völlig abwesend zu sein.
»Worüber denken Sie nach?«, fragte Lena Jansen.
Fechner sah sie an und sagte schließlich: »Das Ziel ist wie der Horizont, nicht wahr? Je näher man kommt, desto weiter entfernt er sich.«
»Was wollen Sie damit sagen, Herr Fechner?«
Er erklärte es ihr. Sie wussten von einem Terroranschlag, sie kannten das Zielobjekt und die Drahtzieher. Was ließ sich damit anfangen? In Wahrheit wussten sie gar nichts, denn welches Ziel verfolgten die Terroristen? In der Vergangenheit, angefangen bei der RAF bis hin zur Al-Qaida, verfolgte jeder Anschlag ein politisches Ziel. Als das Projekt Genesis ins Leben gerufen wurde, war es ja auch so. Doch jetzt machte alles keinen Sinn mehr. Ging Ruschkow wirklich davon aus, er könne mit seinem persönlichen Feldzug gegen den Kapitalismus den Staat zwingen, zum Sozialismus zurückzukehren? Vielleicht sogar wieder zwei deutsche Staaten zu gründen? Dann wäre es in der Tat ein politisches Ziel, aber es war völlig absurd. Nur zwei Menschen
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